Diesen Leserbrief habe ich in 2012 geschrieben.
Kürzlich hat das
National Institute for Health and Care Excellence entschieden, dass Hausgeburten für Niedrigrisiko-Schwangere günstiger sind als Krankenhausgeburten...:-)
Leserbrief
zu „Hausgeburt: Unnötiges Risiko“
Klinikgeburt: Unnötiges
Risiko
Sie schreiben vom Risiko einer
Hausgeburt, u.a. in den Niederlanden..
Dabei erwähnen Sie nicht, dass in
Deutschland nur ca. 16% aller außerklinisch begonnenen Geburten
verlegt werden. Fast alle Verlegungen (92% der Verlegungen) geschehen
in Ruhe und nicht aus der Not, der häufigste Grund dürfte ein
Geburtsstillstand sein. Ein Kaiserschnitt ist in ca. 6% aller
Geburten nötig.
Bei einer geplanten Krankenhausgeburt
lauern allerdings ganz andere „unnötige Risiken“! In Deutschland
brachte im Jahr
2008 etwa
jede dritte Frau ihr Kind im
Krankenhaus durch
Kaiserschnitt
zur Welt,
1991 war es nur etwa
jede siebte.
Die WHO schreibt schon 1985 in ihren Empfehlungen zur Geburtshilfe,
dass eine Kaiserschnittrate über 10-15% medizinisch nicht zu
rechtfertigen sei
.
Das bedeutet, dass mindestens die Hälfte aller Schnittentbindungen
unnötigerweise vorgenommen wurden und unnötige Risiken für Mutter
und Kind eingegangen wurden. 2001-2004 lag in Bayern die
Sectioletalität bei 0,03 Promille im Vergleich zu einer Letalität
bei vaginaler Geburt von 0,003 Promille
.
Weitere Risiken einer Krankenhausgeburt
sind die höheren Raten an Dammverletzungen, Wehenmittelgabe,
unnötige Dauerüberwachung mittels CTG sowie Schmerzmittelgaben,
wobei die beiden Letztgenannten in einer (noch) höheren
Wahrscheinlichkeit für eine (vaginal-)operative Beendigung der
Geburt münden.
Geburt beginnt ja viel früher: bei der
Betreuung der Schwangeren. Diese gehört m.M. nach konsequent in die
Hand gut ausgebildeter Hebammen. Frauenärzte sollten bei
Auffälligkeiten hinzugezogen werden (und dann ohne Standesdünkel
behandeln). Eine Betreuung nur von Frauenärzten, die in erster Linie
Pathologien behandeln (und abrechnen können), halte ich für
gefährlich. Viele Frauen werden während ihrer Schwangerschaft durch
„technisch“ festgestellte „Abweichungen“ verunsichert und
verängstigt.
Die deutsche Geburtshilfe ist leider
meist Geburtsmedizin, die versucht, einen hochkomplexen,
archaischen Vorgang mit technischen Geräten zu vermessen und zu
„beherrschen“. Dass Frauen in der Lage sind, ihre Kinder aktiv zu
gebären, scheint nur für „primitive Völker“ zu gelten. In
Deutschland jedenfalls gebären nur noch sehr wenige Frauen ohne
medizinisches Eingreifen. Trotz der vielfältigen medizinischen
Möglichkeiten hat die Angst in den Kreissälen zu- und nicht
abgenommen.
Ich habe drei Kinder geboren, zwei
davon nicht im Krankenhaus.
Was schafft die außerklinische
Geburtshilfe, und wie kommt eine angehende Ärztin dazu, nicht ins
Krankenhaus zu wollen?
Als ich mit meiner ersten Tochter
schwanger war, informierte ich mich auch zum Thema Geburt und merkte
sehr bald, dass ich nicht ins Krankenhaus wollte, v.a., weil ich
keinen Kaiserschnitt wollte, außer es wäre medizinische Not
geboten.
Mein Gefühl sagte mir: Kinder werden
zu Hause geboren, da wo sie auch gezeugt wurden. Ich wollte nicht von
einer Hebamme zur nächsten gereicht werden, ich wollte nicht x-mal
vaginal untersucht werden (es war mir beim FA schon zu viel) und ich
wollte in der Position gebären, die mir am angenehmsten war. Und
nicht so, wie es für den Arzt oder die Hebamme am
„übersichtlichsten“ ist.
Ein anderes Gefühl war, dass es
sowieso keine absoluten Sicherheiten mehr gibt, wenn man sich auf das
Abenteuer Kinder einlässt. Mut, nicht Übermut, Vertrauen, gute
Hoffnung, Aufgehoben sein in den Händen Gottes und der Gemeinschaft
um mich herum, das sind die Eckpfeiler für mein Leben mit Familie.
Also suchte ich mir eine
Hausgeburtshebamme. Wie es der „Zufall“ so wollte, war das R., die mich durch alle drei Schwangerschaften und durch zwei
Geburten sowie die Zeit danach begleitet hat. R.H. ist
hier in der Gegend ein stehender Begriff, sie hat das hiesige Geburtshaus
mit aufgebaut.
Was habe ich erlebt?
Als meine erste Tochter zur Welt kommen
wollte, verpasste sie mir erst mal eine Dauerwehe. Das veranlasste
meine umsichtige Hebamme dazu, mich in die Klinik zu schicken. (Nicht
in irgendeine Klinik wohlgemerkt…). Dieser Umstand spricht für
mich nach wie vor Bände. Hausgeburtshebammen handeln wegen der viel
größeren Verantwortung sehr viel umsichtiger, schauen viel genauer
auf die Schwangere, kennen diese außerdem schon die ganze
Schwangerschaft. Das ist ein großer Vorteil der außerklinischen
Geburtshilfe: Es gibt ein 1:1-Betreuungsverhältnis, die Hebamme
meines Vertrauens hat sich für fast jede Vorsorgeuntersuchung ca. 30
min Zeit genommen, um sich ein umfassendes Bild von meiner Verfassung
zu machen. Sie kennt mich und kann mich einschätzen. Das ist im
Krankenhaus ganz anders. Im besten Fall hat man die Hebamme schon mal
gesehen und den Arzt beim Geburtsvorgespräch getroffen. Keiner der
anwesenden Personen (abgesehen vom Ehemann) kennt die Frau.
Und die Frauenärztin, zu der die meisten Schwangeren für die
Vorsorge-Untersuchungen gehen, ist sowieso nicht da.
Und genau das habe ich im KKH erlebt:
ich kannte niemanden. Die Hebammen waren sehr nett, sehr engagiert,
ich bekam trotzdem erstmal einen Zugang gelegt. Trotz aller
Bemühungen wollte mein Körper in dieser Umgebung kein Kind zur Welt
bringen und hat kaum richtige Wehen produziert. In der Summe sind wir
also beim Wehentropf, der PDA und der Saugglocke gelandet. Dennoch
war es eine schöne Zeit – nach der Geburt, denn das Krankenhaus
war wunderschön gelegen und der Herbst 2005 war einmalig sonnig und
warm, was wir ausführlich genossen haben.
Geburt hat etwas mit Fallenlassen,
Loslassen, Vertrauen zu tun. Wenn ein Tier ein Junges gebärt, sucht
es sich einen verborgenen Winkel, wo es ungestört ist, wo keine
Gefahr droht. Wir Menschen glauben ja, wir hätten uns von diesen
archaischen Vorgängen gelöst. Die Geburt wird jedoch von den Teilen
des Gehirns gesteuert, zu denen wir keinen bewussten Zugang haben.
Schmerz ist bei jeder Frau anders im Gehirn verankert und kann alle
möglichen verschütteten Erinnerungen an seelischen oder
körperlichen Schmerz hervorrufen. Dies führt u.a. zum ganz
unterschiedlichen Erleben des Wehenschmerzes. Geburt ist eine
Extremsituation; Geburt unterliegt unzähligen Störfaktoren, die wir
rational nicht beeinflussen können.
Das sollte ich bei der Geburt meiner
zweiten Tochter ganz eindrücklich erleben:
Als wir uns gegen 21h auf den Weg ins
Geburtshaus machten, hatte ich während der ganzen 30minütigen
Autofahrt keine einzige Wehe, obwohl sie zuvor regelmäßig kamen.
Das hat mich aber nicht beunruhigt, weil ich damit gerechnet hatte.
Kaum parkte mein Mann ein, kam wieder eine Wehe… Im GH war zunächst
die Zweithebamme da, die ich nur vom Sehen kannte. Ich hatte zwar
Wehen, aber längst nicht so starke wie zuvor zuhause. Kurz darauf
kam meine Hebamme, und schon gings wieder ordentlich zur
Sache… Für mich ist seitdem klar, dass ich v.a. die richtigen
Leute um mich herum brauche, um gut gebären zu können, Menschen,
denen ich mich anvertrauen kann. Und ich bin mir ziemlich sicher,
dass ich nicht die einzige Frau bin, die so gestrickt ist.
Im Krankenhaus wäre eine
kontinuierliche Betreuung mit einer Beleghebamme gewährleistet.
Allerdings gibt es immer weniger Beleghebammen und auch weniger
Geburtshaus- und Hausgeburtshebammen, weil die Versicherungsprämie
inzwischen bei fast 3400EUR / Jahr (Stand 2012. Inzwischen sind über 7000EUR) für die freiberuflichen Hebammen
liegt. Das ist ungefähr 1/7 ihres Jahresgehaltes! Ein unhaltbarer
Zustand, was hoffentlich auch bald die Politik erkennt.
Übrigens ist in den europäischen
Ländern mit der niedrigsten Müttersterblichkeit überwiegend eine
1:1 Betreuung gewährleistet. Am besten wäre es, wenn die Frauen bei
normal verlaufender Schwangerschaft für die Vorsorge, während der
Geburt und danach eine oder mehrere Vertrauenshebammen hätten. Wie
schon erwähnt, sollten Frauenärzte/ärztinnen bei Komplikationen
natürlich hinzugezogen werden, sowie die Sonographie-Untersuchungen
durchführen.
Der eigentliche Verdienst der
außerklinischen Geburtshilfe liegt darin, Frauen Mut zu machen und
zu befähigen, selbstbestimmt zu gebären. Die (Haus-)Geburt meines
letzten Kindes ist für mich immer noch ein unvergessliches Ereignis.
Unser Jüngster kam nicht gerade geplant zwischen dem schriftlichen
und dem mündlichen Staatsexamen zur Welt, mitten hinein in eine sehr
anstrengende Zeit, als unsere Große auch noch eingeschult wurde und
unser Familienleben sowieso durcheinander gewirbelt wurde. Der Kleine
war ein echter Nesthocker und ließ sich endlos Zeit, herauszukommen.
In den meisten Krankenhäusern wäre
ich wohl eingeleitet worden. Meine Beobachtung auf einer kleineren
gynäkologischen Station war u.a., dass der Trend zur
Geburtseinleitung geht, am besten mit dem oralen Prostaglandinhemmer,
der eigentlich gar nicht dafür zugelassen ist. Oft kommen dabei
pathologische Geburten heraus, mit gestressten Kindern oder mit
Müttern, die nach tagelangem Warten mit oder ohne Wehen völlig
erledigt sind und nur noch das Kind da raus haben wollen (-> nicht
selten KS!).
Das muss einen ja alles nicht
verwundern, ich frage mich trotzdem, wozu? Ärzte haben eine
natürliche Abneigung gegen mathematische Zusammenhänge. Dass manche
Kinder deutlich über den errechneten Termin hinaus im Bauch bleiben
wollen, ist völlig normal. Das hat etwas mit der Gaußschen
Normalverteilung zu tun. Ich persönlich glaube auch, dass die Kinder
sich nach dem 3. Schwangerschaftsmonat unterschiedlich schnell
entwickeln: Die einen brauchen ein paar Tage länger, bis die Lunge
ganz fertig ist, die anderen basteln noch an der Leber... Das ist
doch später auch noch so, warum sollte es in der Gebärmutter anders
sein?
Zurück zu meinem Nesthocker: In den
frühen Morgenstunden eines Novembertages habe ich Wehen bekommen und
die Fruchtblase riss ein, so dass bei jeder Wehe etwas Fruchtwasser
abging. Als die Hebammen (bei Hausgeburten immer zwei!) bei uns
eintrafen und ich in den vorbereiteten Geburtspool stieg, hatte ich
noch genau eine Wehe – und dann nichts mehr. Der Muttermund war zu,
die Hebammen reisten wieder ab…
Im Krankenhaus wird nach einem
Blasensprung zwischen 12 und 24h abgewartet, ob die Geburt vorangeht
oder nicht. Manche Geburtsstationen warten auch bis zu 48h ab, wenn
die Entzündungswerte nicht erhöht sind und die Frau auch keine
erhöhte Temperatur hat. Hebammen warten bei Hausgeburten 24h ab,
danach muss die Gebärende im Krankenhaus überwacht werden. Zum
Glück war ich zu Hause! Die großen Kinder wurden zu einer Freundin
gebracht. Mein Mann und ich hatten noch eine sehr schöne Zeit mit
Musik, gutem Essen, Warten. Am Abend traf meine Schwester ein, die
uns in den ersten Tagen zu Hause helfen sollte. Im Krankenhaus wäre
spätestens jetzt wer mit einem Prostaglandingel, einem Wehentropf
oder einer Tablette gekommen. Zu Hause … warteten wir, massierten
meinen Bauch mit Ut-Öl, konnte ich alles, was mich belastete, mit
meiner Hebamme und meinem Mann besprechen. Ein paar weitere
Hebammentricks führten dazu, dass ich endlich, endlich gegen 3h
morgens, also fast 24h nach Blasensprung, Wehen hatte. Heftige Wehen!
Der Pool musste noch mit warmem Wasser
aufgefüllt werden. Das dauerte. Meine Schwester half mir sehr, meine
Wehen auszuhalten. Als es ihr zu viel wurde, setzte sie sich an den
Tisch und verzierte die Geburtskerze.
Im Geburtspool waren dann nur noch ich
und das Kind, das drückte! Und die Wehen. Das Wasser umschloss mich
bis zu den Schultern, ich fühlte mich geborgen. Ich hatte zu keinem
Zeitpunkt Angst! Ich fühlte genau, wo der Kleine grad war. Es ging
recht flott voran. Ich konnte schließlich das Köpfchen spüren. In
der Ausschieb-Phase bremste ich das Köpfchen selbst ein wenig. Im
Vierfüßlerstand glitt er dann ganz ruhig heraus, und meine Hebamme hob ihn aus dem Wasser und gab ihn mir in den Arm. Mein Mann meinte später, er hätte wie ein kleiner
Astronaut ausgesehen, als er da an der Nabelschnur durchs Wasser
schwebte. Als er auftauchte und quäkte, begrüßten wir ihn alle
ganz herzlich!
In vielen Kliniken gibt es inzwischen
Gebärwannen. Leider ist in der deutschen Geburtshilfe immer noch
nicht angekommen, dass Wassergeburten viele physiologische Vorteile
haben. Immerhin nehmen zunehmend Frauen den Geburtspool zumindest
während der Eröffnungsphase in Anspruch. Ab und zu dürfen die
Frauen ihre Babys selbst im Pool zur Welt bringen. Der Drang, sich
einzumischen, ist doch zu groß (und das geht in der Gebärwanne
schlecht!).
Der Blick geht ständig angstvoll zum
CTG. Bei irgendwie „auffälligen“ Herztönen wird Gefahr vermutet
und die Geburt muss „beschleunigt“ werden. (Studien zeigen, dass
dauerhafte CTG-Aufzeichnungen zu einer erhöhten Kaiserschnitt-Rate
führen und das Outcome nicht wirklich verbessern.)
Oder es wird ein Dammschnitt
vorgenommen. Man weiß inzwischen, dass es keine guten Argumente für
einen Dammschnitt gibt und das „Geburtshindernis“ die
unphysiologische, aber immer noch übliche Rückenlage ist.
Die Begrüßung der Neugeborenen ist
seit F. Leboyer deutlich freundlicher geworden, sie werden nicht mehr
an den Beinen baumeln gelassen und geklapst, sondern der Mutter auf
die Brust gelegt. In den meisten Kliniken wird auch auf ein
frühzeitiges Anlegen an der Brust geachtet. Hier hat sich viel getan
in den letzten Jahrzehnten. Warum bleibt dieser Prozess stehen? Warum
gibt es so viel Angst in der Geburtshilfe? Warum so viele
Kaiserschnitte? Warum wird den Frauen oft so wenig Zeit zum Gebären
eingeräumt? Warum erklärt ihnen keiner, was Geburt bedeutet? Wenn
die Frauen immer weniger Möglichkeiten haben, normale spontane
Geburten zu erleben, wie sollen sie wissen, dass es das Normalste von
der Welt ist? (Denn sonst wäre die Menschheit längst
ausgestorben.)
Und wen wundert es, dass die Geburtenzahlen sinken?
Es mag eine ganze Reihe anderer Gründe hierfür geben, ich bin aber
überzeugt, dass traumatische Geburtserlebnisse auch ein Grund dafür
sind!
Für mich ist klar: Hebammen müssen
besser ausgebildet werden, z.B. mit einem Bachelor-Studium, wie dies
in den Niederlanden üblich ist. Sie müssen eine viel stärkere
Stellung in der Versorgungskette einnehmen. Sie müssen besser
bezahlt werden. Sie müssen beginnen, Forschung zu betreiben. Und die
Geburtshilfe muss umstrukturiert werden, weg von der „anonymen“
Geburt hin zu einer persönlichen Betreuung der Frauen von der
Schwangerschaft über die Geburt bis zur Nachsorge von möglichst
wenigen Bezugspersonen.
Ein Umdenken, ein Wandel hin zur
Befähigung der Frauen, Geburt aktiv zu gestalten und dadurch eine
Bereicherung für ihr Leben im eigenlichen Sinne zu erfahren, ist
m.M. nach ein Schlüssel für ein kinder- und menschenfreundlicheres
Deutschland.