Sonntag, 1. Februar 2015

Alter Leserbrief, aktuelles Thema: zu Hause entbinden oder in der Klinik?

Diesen Leserbrief habe ich in 2012 geschrieben.
Kürzlich hat das National Institute for Health and Care Excellence entschieden, dass Hausgeburten für Niedrigrisiko-Schwangere günstiger sind als Krankenhausgeburten...:-)

Leserbrief zu „Hausgeburt: Unnötiges Risiko“

Klinikgeburt: Unnötiges Risiko

Sie schreiben vom Risiko einer Hausgeburt, u.a. in den Niederlanden..
Dabei erwähnen Sie nicht, dass in Deutschland nur ca. 16% aller außerklinisch begonnenen Geburten verlegt werden. Fast alle Verlegungen (92% der Verlegungen) geschehen in Ruhe und nicht aus der Not, der häufigste Grund dürfte ein Geburtsstillstand sein. Ein Kaiserschnitt ist in ca. 6% aller Geburten nötig.1

Bei einer geplanten Krankenhausgeburt lauern allerdings ganz andere „unnötige Risiken“! In Deutschland brachte im Jahr 2008 etwa jede dritte Frau ihr Kind im Krankenhaus durch Kaiserschnitt zur Welt, 1991 war es nur etwa jede siebte2. Die WHO schreibt schon 1985 in ihren Empfehlungen zur Geburtshilfe, dass eine Kaiserschnittrate über 10-15% medizinisch nicht zu rechtfertigen sei3. Das bedeutet, dass mindestens die Hälfte aller Schnittentbindungen unnötigerweise vorgenommen wurden und unnötige Risiken für Mutter und Kind eingegangen wurden. 2001-2004 lag in Bayern die Sectioletalität bei 0,03 Promille im Vergleich zu einer Letalität bei vaginaler Geburt von 0,003 Promille4.
Weitere Risiken einer Krankenhausgeburt sind die höheren Raten an Dammverletzungen, Wehenmittelgabe, unnötige Dauerüberwachung mittels CTG sowie Schmerzmittelgaben, wobei die beiden Letztgenannten in einer (noch) höheren Wahrscheinlichkeit für eine (vaginal-)operative Beendigung der Geburt münden.

Geburt beginnt ja viel früher: bei der Betreuung der Schwangeren. Diese gehört m.M. nach konsequent in die Hand gut ausgebildeter Hebammen. Frauenärzte sollten bei Auffälligkeiten hinzugezogen werden (und dann ohne Standesdünkel behandeln). Eine Betreuung nur von Frauenärzten, die in erster Linie Pathologien behandeln (und abrechnen können), halte ich für gefährlich. Viele Frauen werden während ihrer Schwangerschaft durch „technisch“ festgestellte „Abweichungen“ verunsichert und verängstigt.
Die deutsche Geburtshilfe ist leider meist Geburtsmedizin, die versucht, einen hochkomplexen, archaischen Vorgang mit technischen Geräten zu vermessen und zu „beherrschen“. Dass Frauen in der Lage sind, ihre Kinder aktiv zu gebären, scheint nur für „primitive Völker“ zu gelten. In Deutschland jedenfalls gebären nur noch sehr wenige Frauen ohne medizinisches Eingreifen. Trotz der vielfältigen medizinischen Möglichkeiten hat die Angst in den Kreissälen zu- und nicht abgenommen.

Ich habe drei Kinder geboren, zwei davon nicht im Krankenhaus.

Was schafft die außerklinische Geburtshilfe, und wie kommt eine angehende Ärztin dazu, nicht ins Krankenhaus zu wollen?

Als ich mit meiner ersten Tochter schwanger war, informierte ich mich auch zum Thema Geburt und merkte sehr bald, dass ich nicht ins Krankenhaus wollte, v.a., weil ich keinen Kaiserschnitt wollte, außer es wäre medizinische Not geboten.
Mein Gefühl sagte mir: Kinder werden zu Hause geboren, da wo sie auch gezeugt wurden. Ich wollte nicht von einer Hebamme zur nächsten gereicht werden, ich wollte nicht x-mal vaginal untersucht werden (es war mir beim FA schon zu viel) und ich wollte in der Position gebären, die mir am angenehmsten war. Und nicht so, wie es für den Arzt oder die Hebamme am „übersichtlichsten“ ist.
Ein anderes Gefühl war, dass es sowieso keine absoluten Sicherheiten mehr gibt, wenn man sich auf das Abenteuer Kinder einlässt. Mut, nicht Übermut, Vertrauen, gute Hoffnung, Aufgehoben sein in den Händen Gottes und der Gemeinschaft um mich herum, das sind die Eckpfeiler für mein Leben mit Familie.

Also suchte ich mir eine Hausgeburtshebamme. Wie es der „Zufall“ so wollte, war das R., die mich durch alle drei Schwangerschaften und durch zwei Geburten sowie die Zeit danach begleitet hat. R.H. ist hier in der Gegend ein stehender Begriff, sie hat das hiesige Geburtshaus mit aufgebaut.

Was habe ich erlebt?
Als meine erste Tochter zur Welt kommen wollte, verpasste sie mir erst mal eine Dauerwehe. Das veranlasste meine umsichtige Hebamme dazu, mich in die Klinik zu schicken. (Nicht in irgendeine Klinik wohlgemerkt…). Dieser Umstand spricht für mich nach wie vor Bände. Hausgeburtshebammen handeln wegen der viel größeren Verantwortung sehr viel umsichtiger, schauen viel genauer auf die Schwangere, kennen diese außerdem schon die ganze Schwangerschaft. Das ist ein großer Vorteil der außerklinischen Geburtshilfe: Es gibt ein 1:1-Betreuungsverhältnis, die Hebamme meines Vertrauens hat sich für fast jede Vorsorgeuntersuchung ca. 30 min Zeit genommen, um sich ein umfassendes Bild von meiner Verfassung zu machen. Sie kennt mich und kann mich einschätzen. Das ist im Krankenhaus ganz anders. Im besten Fall hat man die Hebamme schon mal gesehen und den Arzt beim Geburtsvorgespräch getroffen. Keiner der anwesenden Personen (abgesehen vom Ehemann) kennt die Frau. Und die Frauenärztin, zu der die meisten Schwangeren für die Vorsorge-Untersuchungen gehen, ist sowieso nicht da.

Und genau das habe ich im KKH erlebt: ich kannte niemanden. Die Hebammen waren sehr nett, sehr engagiert, ich bekam trotzdem erstmal einen Zugang gelegt. Trotz aller Bemühungen wollte mein Körper in dieser Umgebung kein Kind zur Welt bringen und hat kaum richtige Wehen produziert. In der Summe sind wir also beim Wehentropf, der PDA und der Saugglocke gelandet. Dennoch war es eine schöne Zeit – nach der Geburt, denn das Krankenhaus war wunderschön gelegen und der Herbst 2005 war einmalig sonnig und warm, was wir ausführlich genossen haben.

Geburt hat etwas mit Fallenlassen, Loslassen, Vertrauen zu tun. Wenn ein Tier ein Junges gebärt, sucht es sich einen verborgenen Winkel, wo es ungestört ist, wo keine Gefahr droht. Wir Menschen glauben ja, wir hätten uns von diesen archaischen Vorgängen gelöst. Die Geburt wird jedoch von den Teilen des Gehirns gesteuert, zu denen wir keinen bewussten Zugang haben. Schmerz ist bei jeder Frau anders im Gehirn verankert und kann alle möglichen verschütteten Erinnerungen an seelischen oder körperlichen Schmerz hervorrufen. Dies führt u.a. zum ganz unterschiedlichen Erleben des Wehenschmerzes. Geburt ist eine Extremsituation; Geburt unterliegt unzähligen Störfaktoren, die wir rational nicht beeinflussen können.

Das sollte ich bei der Geburt meiner zweiten Tochter ganz eindrücklich erleben:
Als wir uns gegen 21h auf den Weg ins Geburtshaus machten, hatte ich während der ganzen 30minütigen Autofahrt keine einzige Wehe, obwohl sie zuvor regelmäßig kamen. Das hat mich aber nicht beunruhigt, weil ich damit gerechnet hatte. Kaum parkte mein Mann ein, kam wieder eine Wehe… Im GH war zunächst die Zweithebamme da, die ich nur vom Sehen kannte. Ich hatte zwar Wehen, aber längst nicht so starke wie zuvor zuhause. Kurz darauf kam meine Hebamme, und schon gings wieder ordentlich zur Sache… Für mich ist seitdem klar, dass ich v.a. die richtigen Leute um mich herum brauche, um gut gebären zu können, Menschen, denen ich mich anvertrauen kann. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht die einzige Frau bin, die so gestrickt ist.

Im Krankenhaus wäre eine kontinuierliche Betreuung mit einer Beleghebamme gewährleistet. Allerdings gibt es immer weniger Beleghebammen und auch weniger Geburtshaus- und Hausgeburtshebammen, weil die Versicherungsprämie inzwischen bei fast 3400EUR / Jahr (Stand 2012. Inzwischen sind über 7000EUR) für die freiberuflichen Hebammen liegt. Das ist ungefähr 1/7 ihres Jahresgehaltes! Ein unhaltbarer Zustand, was hoffentlich auch bald die Politik erkennt.
Übrigens ist in den europäischen Ländern mit der niedrigsten Müttersterblichkeit überwiegend eine 1:1 Betreuung gewährleistet. Am besten wäre es, wenn die Frauen bei normal verlaufender Schwangerschaft für die Vorsorge, während der Geburt und danach eine oder mehrere Vertrauenshebammen hätten. Wie schon erwähnt, sollten Frauenärzte/ärztinnen bei Komplikationen natürlich hinzugezogen werden, sowie die Sonographie-Untersuchungen durchführen.

Der eigentliche Verdienst der außerklinischen Geburtshilfe liegt darin, Frauen Mut zu machen und zu befähigen, selbstbestimmt zu gebären. Die (Haus-)Geburt meines letzten Kindes ist für mich immer noch ein unvergessliches Ereignis. Unser Jüngster kam nicht gerade geplant zwischen dem schriftlichen und dem mündlichen Staatsexamen zur Welt, mitten hinein in eine sehr anstrengende Zeit, als unsere Große auch noch eingeschult wurde und unser Familienleben sowieso durcheinander gewirbelt wurde. Der Kleine war ein echter Nesthocker und ließ sich endlos Zeit, herauszukommen.

In den meisten Krankenhäusern wäre ich wohl eingeleitet worden. Meine Beobachtung auf einer kleineren gynäkologischen Station war u.a., dass der Trend zur Geburtseinleitung geht, am besten mit dem oralen Prostaglandinhemmer, der eigentlich gar nicht dafür zugelassen ist. Oft kommen dabei pathologische Geburten heraus, mit gestressten Kindern oder mit Müttern, die nach tagelangem Warten mit oder ohne Wehen völlig erledigt sind und nur noch das Kind da raus haben wollen (-> nicht selten KS!).
Das muss einen ja alles nicht verwundern, ich frage mich trotzdem, wozu? Ärzte haben eine natürliche Abneigung gegen mathematische Zusammenhänge. Dass manche Kinder deutlich über den errechneten Termin hinaus im Bauch bleiben wollen, ist völlig normal. Das hat etwas mit der Gaußschen Normalverteilung zu tun. Ich persönlich glaube auch, dass die Kinder sich nach dem 3. Schwangerschaftsmonat unterschiedlich schnell entwickeln: Die einen brauchen ein paar Tage länger, bis die Lunge ganz fertig ist, die anderen basteln noch an der Leber... Das ist doch später auch noch so, warum sollte es in der Gebärmutter anders sein?

Zurück zu meinem Nesthocker: In den frühen Morgenstunden eines Novembertages habe ich Wehen bekommen und die Fruchtblase riss ein, so dass bei jeder Wehe etwas Fruchtwasser abging. Als die Hebammen (bei Hausgeburten immer zwei!) bei uns eintrafen und ich in den vorbereiteten Geburtspool stieg, hatte ich noch genau eine Wehe – und dann nichts mehr. Der Muttermund war zu, die Hebammen reisten wieder ab…

Im Krankenhaus wird nach einem Blasensprung zwischen 12 und 24h abgewartet, ob die Geburt vorangeht oder nicht. Manche Geburtsstationen warten auch bis zu 48h ab, wenn die Entzündungswerte nicht erhöht sind und die Frau auch keine erhöhte Temperatur hat. Hebammen warten bei Hausgeburten 24h ab, danach muss die Gebärende im Krankenhaus überwacht werden. Zum Glück war ich zu Hause! Die großen Kinder wurden zu einer Freundin gebracht. Mein Mann und ich hatten noch eine sehr schöne Zeit mit Musik, gutem Essen, Warten. Am Abend traf meine Schwester ein, die uns in den ersten Tagen zu Hause helfen sollte. Im Krankenhaus wäre spätestens jetzt wer mit einem Prostaglandingel, einem Wehentropf oder einer Tablette gekommen. Zu Hause … warteten wir, massierten meinen Bauch mit Ut-Öl, konnte ich alles, was mich belastete, mit meiner Hebamme und meinem Mann besprechen. Ein paar weitere Hebammentricks führten dazu, dass ich endlich, endlich gegen 3h morgens, also fast 24h nach Blasensprung, Wehen hatte. Heftige Wehen!
Der Pool musste noch mit warmem Wasser aufgefüllt werden. Das dauerte. Meine Schwester half mir sehr, meine Wehen auszuhalten. Als es ihr zu viel wurde, setzte sie sich an den Tisch und verzierte die Geburtskerze.
Im Geburtspool waren dann nur noch ich und das Kind, das drückte! Und die Wehen. Das Wasser umschloss mich bis zu den Schultern, ich fühlte mich geborgen. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt Angst! Ich fühlte genau, wo der Kleine grad war. Es ging recht flott voran. Ich konnte schließlich das Köpfchen spüren. In der Ausschieb-Phase bremste ich das Köpfchen selbst ein wenig. Im Vierfüßlerstand glitt er dann ganz ruhig heraus, und meine Hebamme hob ihn aus dem Wasser und gab ihn mir in den Arm. Mein Mann meinte später, er hätte wie ein kleiner Astronaut ausgesehen, als er da an der Nabelschnur durchs Wasser schwebte. Als er auftauchte und quäkte, begrüßten wir ihn alle ganz herzlich!

In vielen Kliniken gibt es inzwischen Gebärwannen. Leider ist in der deutschen Geburtshilfe immer noch nicht angekommen, dass Wassergeburten viele physiologische Vorteile haben. Immerhin nehmen zunehmend Frauen den Geburtspool zumindest während der Eröffnungsphase in Anspruch. Ab und zu dürfen die Frauen ihre Babys selbst im Pool zur Welt bringen. Der Drang, sich einzumischen, ist doch zu groß (und das geht in der Gebärwanne schlecht!).
Der Blick geht ständig angstvoll zum CTG. Bei irgendwie „auffälligen“ Herztönen wird Gefahr vermutet und die Geburt muss „beschleunigt“ werden. (Studien zeigen, dass dauerhafte CTG-Aufzeichnungen zu einer erhöhten Kaiserschnitt-Rate führen und das Outcome nicht wirklich verbessern.5)
Oder es wird ein Dammschnitt vorgenommen. Man weiß inzwischen, dass es keine guten Argumente für einen Dammschnitt gibt und das „Geburtshindernis“ die unphysiologische, aber immer noch übliche Rückenlage ist. 6 7

Die Begrüßung der Neugeborenen ist seit F. Leboyer deutlich freundlicher geworden, sie werden nicht mehr an den Beinen baumeln gelassen und geklapst, sondern der Mutter auf die Brust gelegt. In den meisten Kliniken wird auch auf ein frühzeitiges Anlegen an der Brust geachtet. Hier hat sich viel getan in den letzten Jahrzehnten. Warum bleibt dieser Prozess stehen? Warum gibt es so viel Angst in der Geburtshilfe? Warum so viele Kaiserschnitte? Warum wird den Frauen oft so wenig Zeit zum Gebären eingeräumt? Warum erklärt ihnen keiner, was Geburt bedeutet? Wenn die Frauen immer weniger Möglichkeiten haben, normale spontane Geburten zu erleben, wie sollen sie wissen, dass es das Normalste von der Welt ist? (Denn sonst wäre die Menschheit längst ausgestorben.)
Und wen wundert es, dass die Geburtenzahlen sinken? Es mag eine ganze Reihe anderer Gründe hierfür geben, ich bin aber überzeugt, dass traumatische Geburtserlebnisse auch ein Grund dafür sind!

Für mich ist klar: Hebammen müssen besser ausgebildet werden, z.B. mit einem Bachelor-Studium, wie dies in den Niederlanden üblich ist. Sie müssen eine viel stärkere Stellung in der Versorgungskette einnehmen. Sie müssen besser bezahlt werden. Sie müssen beginnen, Forschung zu betreiben. Und die Geburtshilfe muss umstrukturiert werden, weg von der „anonymen“ Geburt hin zu einer persönlichen Betreuung der Frauen von der Schwangerschaft über die Geburt bis zur Nachsorge von möglichst wenigen Bezugspersonen.

Ein Umdenken, ein Wandel hin zur Befähigung der Frauen, Geburt aktiv zu gestalten und dadurch eine Bereicherung für ihr Leben im eigenlichen Sinne zu erfahren, ist m.M. nach ein Schlüssel für ein kinder- und menschenfreundlicheres Deutschland.

1 Qualitätsbericht außerklinische Geburtshilfe in Deutschland 2010, S.35
2http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/STATmagazin/Gesundheit/2010__02/2010__02DRG,templateId=renderPrint.psml#Link4
3 http://www.quag.de/content/empfehlungen.htm
5 zum Beispiel: Nardin JM. Continuous cardiotocography (CTG) as a form of electronic monitoring (EFM) for fetal assessment during labour: RHL commentary (last revised: 9 January 2007). The WHO Reproductive Health Library; Geneva: World Health Organization.
6 als Beispiel sei genannt: „Episiotomy for vaginal birth.“: Carroli, Guillermo; Mignini, Luciano; Cochrane database of systematic reviews (Online); Abk.: Cochrane Database Syst Rev 2009  Heft 1, Seite(n) CD000081
7 A. Rockenschaub, „Gebären ohne Aberglauben“, facultas Verlag, Wien 2005, S. 373-375

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