Freitag, 29. April 2016

"Marker" für eine sichere Geburtshilfe

#sichereGeburt

Was macht eine sichere Geburt aus? Sind Dauer-CTG und zentrale CTG-Überwachung geeignete Mittel, um die Geburtshilfe sicherer zu machen?
Woran misst man die "Qualität" der Geburtshilfe? An der Säuglings- und Müttersterblichkeit?

Die Säuglings- und Müttersterblichkeit ist in Deutschland ähnlich niedrig wie in anderen europäischen Ländern. Es gibt Differenzen in den verschiedenen Bundesländern, aber insgesamt sind wir da nicht so schlecht. 
Dafür gibt es andere Zahlen, die im europäischen Vergleich deutlich höher sind. Dazu zählen der Anteil an Frühgeborenen sowie der Anteil an Kindern mit einem Geburtsgewicht unter 2.500g bzw. sogenannte "small for gestational age"-Kinder.
Dazu zählt auch die viel zu hohe Kaiserschnittrate von über 30%, die zudem schon von Landkreis zu Landkreis deutlich schwankt. Eine Dammschnittrate von fast 25% mit großen Schwankungen zwischen den einzelnen Kliniken weist auf fehlende Leitlinien und Konzepte oder fehlender Umsetzung einer "hands off"- Geburtshilfe hin. 

Warum sind diese "Marker" so wichtig? 

Aus Sicht der Frauen und Babys sind diese Marker wichtige Faktoren, da sie häufig über die Zukunft einzelner Menschen und Familien entscheiden!

Angefangen mit der Frühgeburtlichkeit und SGA-Kindern: Ein Frühchen braucht intensive Pflege und Betreuung, bedeutet häufig für die Familie den "Komplettausfall" eines Elternteils für die Zeit, die das Kind noch in der Klinik bleiben muss und stellt Eltern vor große Herausforderungen. Frühchen haben es auch später im Leben nicht unbedingt leichter und haben ungleich höhere Erkrankungsraten, auch für chronische Erkrankungen.
Es ist also schon als sehr gravierend anzusehen, dass Krankenkassen lange Liegezeiten bei drohender Frühgeburt aufgrund der Fallpauschalen nicht adäquat vergüten, wohingegen die sehr hohen Kosten eines Aufenthaltes auf der Frühchenstation übernommen werden. 

Die Senkung der Frühgeburtlichkeit muss ein primäres Ziel sein. 
Leider sieht es so aus, dass das primäre Ziel der Ausbau der großen Perinatalzentren ist, mit dem Argument, kleinere Häuser könnten Frühchen mangels Erfahrung schlechter versorgen.
Hier ist eine Entwicklung komplett fehlgeleitet. Denn: je mehr Anreize für eine Frühgeburt geschaffen werden, desto höher wird die Rate an Frühgeborenen sein. Anreize können sein: eine deutlich höhere Vergütung für Frühchen bei einem Geburtsgewicht unter 1.500g; Stationen mit verhältnismäßig vielen neonatologischen Plätzen, die auch gegenfinanziert werden müssen.

Einen Ansatz zur Verringerung der Frühgeburtlichkeit gibt es kaum.

Die hohe Kaiserschnittrate hat ebenfalls gesundheitliche Konsequenzen für die Mutter, das Kind und häufig auch für Folgeschwangerschaften. 
Seit einiger Zeit verdichten sich die Hinweise in Studien, dass Kaiserschnitt-Kinder ein größeres Risiko für diverse nichtinfektiöse Erkrankungen im weiteren Leben haben, dazu gehören u.a. Asthma, Diabetes und chronische Darmerkrankungen. Das bedeutet, dass eine hohe KS-Rate direkt zu höheren Folgekosten im Gesundheitssystem führt. 
Das bedeutet aber auch, und das betrifft einzelne Menschen und Familien, dass mehr Familien mit der Belastung eines chronisch kranken Kindes zu tun haben! 
Trotz sicherer OP- und Narkosetechniken ist die Mortalitätsrate für Mütter mit Kaiserschnitt etwa zehnmal so hoch wie bei vaginaler Entbindung. 
Darüber hinaus hat eine Sectio weitere Risiken, z.B. erhöhte Blutungsgefahr. 
Die Mütter sind nach Sectio meist nicht so schnell wieder fit und können sich in den ersten Tagen weniger intensiv um das Neugeborene kümmern. Dies kann z.B. zu Stillschwierigkeiten führen. 
Bei einer Folgeschwangerschaft ist die Gefahr einer Fehlentwicklung der Plazenta erhöht: es kann zu Verwachsungen mit der Gebärmutterschleimhaut kommen. Dies kann in der Schwangerschaft und unter Geburt zu schweren Komplikationen führen. Abgesehen davon steigt die Gefahr eines Gebärmutterrisses sowie die einer starken Nachblutung. 

Was hat die Dammschnittrate mit "guter Geburtshilfe" zu tun? Die meisten Ärzte verneinen hier einen kausalen Zusammenhang. Ich denke, eine hohe Dammschnittrate ist Ausdruck einer ärztlich oder von einer Hebamme "geleiteten" Geburt. In der außerklinischen Geburtshilfe, wo Frauen die ihnen angenehmste Geburtsposition einnehmen können, gebären vergleichsweise wenige Frauen im Halbsitzen oder Liegen. 
Das hat zwei Konsequenzen: 
1. Die Schwerkraft wird häufiger mitgenutzt, der physiologische Geburtsweg wird "erweitert" (denn im Sitzen kann z.B. das Steißbein nicht nach hinten ausweichen!), das Kind schafft es "leichter" durch den Geburtskanal.
2. Die Mutter begibt sich in eine Gebärposition, in der es kaum möglich ist, einen Dammschnitt vorzunehmen.

Im Umkehrschluss kann man sagen, dass Frauen im Krankenhaus in aller Regel nicht frei wählen können, in welcher Position sie gebären, und sie werden auch nicht dazu angeleitet. Die Anleitung folgt immer noch eher zugunsten einer für Arzt und Hebamme "übersichtlichen" Position - in der die Schwerkraft schlechter wirken kann, in der die Versorgung mit Sauerstoff für das Kind verschlechtert ist, die also ganz schnell eine Situation hervorruft, die einen Dammschnitt (vermeindlich) "nötig" macht. 
Dies ist jedoch keine frauenzentrierte Geburtshilfe. Das ist eine an den Bedürfnissen des medizinischen Personals ausgerichtete Geburtshilfe, mit der Konsequenz von vielen unnötigen Dammschnitten. 
Abgesehen davon zeigen Studien, dass der Dammschnitt nur in wenigen Fällen wirklich nötig ist, dass er außerdem die Wahrscheinlichkeit für einen höhergradigen Riss (III°/IV°) erhöht statt erniedrigt und dass ein Dammriss meist besser heilt. 
Darüber hinaus hat sich noch kein Mensch mit den psychosozialen Folgen eines Dammschnittes befasst. 

 Was könnte nun einen Einfluss auf all diese Faktoren haben? Welche verhältnismäßig einfache Veränderung könnte Frühgeburtlichkeit, Kaiserschnittraten, SGA-Babys und Dammschnitte reduzieren? Gibt es hier ein Patentrezept?

Ja. Das gibt es.
Die kontinuierliche Betreuung durch eine oder mehrere Bezugshebamme(n) während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sowie Stillzeit.
Deswegen freue ich mich, dass der Hebammenberuf akademisiert wird, und hoffe, dass es zunehmend eine kontinuierliche Begleitung der Frauen gibt, wie es bspw. in Schweden der Fall ist.

Für mich ist es ein erklärtes Ziel: Gesunde Frauen mit unkomplizierter Schwangerschaft sollten von Beginn der Schwangerschaft über die Geburt bis Ende des 1. Lebensjahres von einer oder mehreren Bezugshebammen betreut werden.


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