Sonntag, 4. Dezember 2016

Ein Brief an die Frauen. Und Männer. Generell. Im besonderen an die, die Kinder kriegen wollen.

Ich sollte eigentlich schlafen.
Egal.
Dann, irgendwann, wenn die letzte kleine Geburtsstation auf dem Land dicht gemacht hat und die Anfahrtswege für entlegene Gegenden in ganz Deutschland 50km und mehr betragen -- wie übrigens bereits jetzt in Teilen von Schleswig-Holstein, Hessen, bald Bayern, und was die Inseln betrifft, die sowieso ---, dann, wenn Frauen feststellen, dass Geburten in weit entfernten, überfüllten Kliniken mit zu wenig Personal und zu wenigen Kreißsälen, mit zu viel Geräten und zu wenig menschlicher Zuwendung stattfinden,
dann, wenn die erste Frau 50km von der nächsten Geburtsstation entfernt eine vorzeitige Plazentaablösung hat mit fatalem Ausgang,
dann, wenn der erste Mann im Auto auf dem Standstreifen steht und nicht weiß, wie er seiner brüllenden, gebärenden Frau helfen soll,
dann, wenn für die Wochenbettversorgung in ländlichen Gebieten keine Hebammen mehr zur Verfügung stehen,
dann, wenn das erste Kind zu spät mit Neugeborenen-Gelbsucht in der Kinderklinik landet, weils einfach keiner bemerkt hat - war ja auch nie eine Hebamme da nach der Geburt,
dann, wenn die erste Frau im Wochenbett eine Sepsis erleidet und es keiner mitbekommt - mit fatalem Ausgang - weil ja keine Hebammen mehr schauen kommen,

dann werden die Frauen sich ihrer Stärke wieder bewusst werden. Sie werden daran denken, dass eine Geburt zu Hause, mit einer Fachfrau an der Seite, eine sehr viel bessere Option ist, als eine lange Fahrt in ein überfülltes Krankenhaus, weit entfernt von 1:1-Betreuung, einer Versorgung, die im Prinzip nur Katastrophen verhindert, aber keine gute Geburtshilfe mehr leistet,
eine Versorgung, die weder den Frauen noch dem eigenen Anspruch der Hebammen und Geburtshelfer gerecht wird (wenn sie es sich einmal eingestehen würden).
Sie werden sich an das Bild mit der Frau und den Zwillingen auf dem Arm im Gebärpool erinnern. Sie werden anfangen zu fragen:

Wo soll eigentlich mein Kind zur Welt kommen? Wie soll Geburt sein? Kann Geburt auch schön sein?

Ich wünsche es mir so sehr. Ich wünsche mir so sehr, dass Geburt für die meisten Frauen eine gute, schöne, bestärkende Erfahrung ist.

Ich hatte gehofft, dass dies auch in den Krankenhäusern möglich ist.

Aber je mehr Geburtsabteilungen schließen, desto weniger glaube ich daran.

Die schönen Geburten werden weiterhin nur die mutigen Frauen erleben, die sich eine der wenigen verbliebenen Hausgeburts-, Geburtshaus- und Beleggeburts-Hebammen suchen und so eine gesicherte 1:1-Betreuung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett haben.

Alle anderen können nur auf ihr Glück hoffen. Darauf hoffen, dass sie nicht zu weit weg wohnen vom nächsten KKH, dass die Geburten langsam vonstatten gehen, damit sie rechtzeitig im Kreißsaal ankommen, dass dann möglichst wenige andere Frauen unter Geburt da sind, dass genügend Hebammen da sind, dass keine krank ist und deswegen die Station unterbesetzt ist, dass auch von den Ärzten keiner krank ist, dass die Gebärwanne zufällig frei ist, dass die Hebamme Ruhe, Zeit und Geduld hat, dass im Notfall der OP frei ist, dass noch ein Bett auf der Wochenbettstation frei ist und sie nicht bei den krebskranken Frauen liegen muss, dass sie nicht mittels PDA und CTG ans Bett "gefesselt" wird und sich nicht mehr frei bewegen kann, um ihre Wehen zu verarbeiten, dass sie nicht die meiste Zeit ihrer Geburt alleine ist, dass der Ehemann den weiten Weg rechtzeitig her schafft, dass wenigstens der Ehemann die Nerven behält, wenn das Kind kommt und keiner da ist, dass sie nicht in Rückenlage entbinden muss - fast so unpraktisch wie der Kopfstand zum Gebären - , dass sie nicht an irgendeinen schlecht gelaunten Menschen im Klinikbetrieb gerät, der sie unmöglich anschnauzt, dass niemand einfach so einen Dammschnitt macht, ohne sie zu fragen geschweige denn zu informieren, dass sie ihr Kind auf die Brust bekommt nach der Geburt, dass niemand an der Nabelschnur manipuliert und so eine Blutung oder eine Plazentaabscherung provoziert, dass das Kind das ganze Blut aus der Nabelschnur haben kann, dass ihr jemand hilft beim ersten Anlegen, dass sie Ruhe hat fürs Bonding, dass Verletzungen mit Fingerspitzengefühl versorgt werden, dass, ja, dass es eine gute Geburt wird.

So viele nicht zu beeinflussende Faktoren würden mir Angst machen.

Wie gesagt: Hebamme suchen, 1:1-Betreuung, Beleg-, Geburtshaus-, Hausgeburt.

Zum Krankenhaus ohne 1:1-Betreuung kann ich gesunden Frauen mit niedrigem Risiko nur sehr eingeschränkt raten.