Sonntag, 4. Dezember 2016

Ein Brief an die Frauen. Und Männer. Generell. Im besonderen an die, die Kinder kriegen wollen.

Ich sollte eigentlich schlafen.
Egal.
Dann, irgendwann, wenn die letzte kleine Geburtsstation auf dem Land dicht gemacht hat und die Anfahrtswege für entlegene Gegenden in ganz Deutschland 50km und mehr betragen -- wie übrigens bereits jetzt in Teilen von Schleswig-Holstein, Hessen, bald Bayern, und was die Inseln betrifft, die sowieso ---, dann, wenn Frauen feststellen, dass Geburten in weit entfernten, überfüllten Kliniken mit zu wenig Personal und zu wenigen Kreißsälen, mit zu viel Geräten und zu wenig menschlicher Zuwendung stattfinden,
dann, wenn die erste Frau 50km von der nächsten Geburtsstation entfernt eine vorzeitige Plazentaablösung hat mit fatalem Ausgang,
dann, wenn der erste Mann im Auto auf dem Standstreifen steht und nicht weiß, wie er seiner brüllenden, gebärenden Frau helfen soll,
dann, wenn für die Wochenbettversorgung in ländlichen Gebieten keine Hebammen mehr zur Verfügung stehen,
dann, wenn das erste Kind zu spät mit Neugeborenen-Gelbsucht in der Kinderklinik landet, weils einfach keiner bemerkt hat - war ja auch nie eine Hebamme da nach der Geburt,
dann, wenn die erste Frau im Wochenbett eine Sepsis erleidet und es keiner mitbekommt - mit fatalem Ausgang - weil ja keine Hebammen mehr schauen kommen,

dann werden die Frauen sich ihrer Stärke wieder bewusst werden. Sie werden daran denken, dass eine Geburt zu Hause, mit einer Fachfrau an der Seite, eine sehr viel bessere Option ist, als eine lange Fahrt in ein überfülltes Krankenhaus, weit entfernt von 1:1-Betreuung, einer Versorgung, die im Prinzip nur Katastrophen verhindert, aber keine gute Geburtshilfe mehr leistet,
eine Versorgung, die weder den Frauen noch dem eigenen Anspruch der Hebammen und Geburtshelfer gerecht wird (wenn sie es sich einmal eingestehen würden).
Sie werden sich an das Bild mit der Frau und den Zwillingen auf dem Arm im Gebärpool erinnern. Sie werden anfangen zu fragen:

Wo soll eigentlich mein Kind zur Welt kommen? Wie soll Geburt sein? Kann Geburt auch schön sein?

Ich wünsche es mir so sehr. Ich wünsche mir so sehr, dass Geburt für die meisten Frauen eine gute, schöne, bestärkende Erfahrung ist.

Ich hatte gehofft, dass dies auch in den Krankenhäusern möglich ist.

Aber je mehr Geburtsabteilungen schließen, desto weniger glaube ich daran.

Die schönen Geburten werden weiterhin nur die mutigen Frauen erleben, die sich eine der wenigen verbliebenen Hausgeburts-, Geburtshaus- und Beleggeburts-Hebammen suchen und so eine gesicherte 1:1-Betreuung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett haben.

Alle anderen können nur auf ihr Glück hoffen. Darauf hoffen, dass sie nicht zu weit weg wohnen vom nächsten KKH, dass die Geburten langsam vonstatten gehen, damit sie rechtzeitig im Kreißsaal ankommen, dass dann möglichst wenige andere Frauen unter Geburt da sind, dass genügend Hebammen da sind, dass keine krank ist und deswegen die Station unterbesetzt ist, dass auch von den Ärzten keiner krank ist, dass die Gebärwanne zufällig frei ist, dass die Hebamme Ruhe, Zeit und Geduld hat, dass im Notfall der OP frei ist, dass noch ein Bett auf der Wochenbettstation frei ist und sie nicht bei den krebskranken Frauen liegen muss, dass sie nicht mittels PDA und CTG ans Bett "gefesselt" wird und sich nicht mehr frei bewegen kann, um ihre Wehen zu verarbeiten, dass sie nicht die meiste Zeit ihrer Geburt alleine ist, dass der Ehemann den weiten Weg rechtzeitig her schafft, dass wenigstens der Ehemann die Nerven behält, wenn das Kind kommt und keiner da ist, dass sie nicht in Rückenlage entbinden muss - fast so unpraktisch wie der Kopfstand zum Gebären - , dass sie nicht an irgendeinen schlecht gelaunten Menschen im Klinikbetrieb gerät, der sie unmöglich anschnauzt, dass niemand einfach so einen Dammschnitt macht, ohne sie zu fragen geschweige denn zu informieren, dass sie ihr Kind auf die Brust bekommt nach der Geburt, dass niemand an der Nabelschnur manipuliert und so eine Blutung oder eine Plazentaabscherung provoziert, dass das Kind das ganze Blut aus der Nabelschnur haben kann, dass ihr jemand hilft beim ersten Anlegen, dass sie Ruhe hat fürs Bonding, dass Verletzungen mit Fingerspitzengefühl versorgt werden, dass, ja, dass es eine gute Geburt wird.

So viele nicht zu beeinflussende Faktoren würden mir Angst machen.

Wie gesagt: Hebamme suchen, 1:1-Betreuung, Beleg-, Geburtshaus-, Hausgeburt.

Zum Krankenhaus ohne 1:1-Betreuung kann ich gesunden Frauen mit niedrigem Risiko nur sehr eingeschränkt raten.

Freitag, 29. April 2016

"Marker" für eine sichere Geburtshilfe

#sichereGeburt

Was macht eine sichere Geburt aus? Sind Dauer-CTG und zentrale CTG-Überwachung geeignete Mittel, um die Geburtshilfe sicherer zu machen?
Woran misst man die "Qualität" der Geburtshilfe? An der Säuglings- und Müttersterblichkeit?

Die Säuglings- und Müttersterblichkeit ist in Deutschland ähnlich niedrig wie in anderen europäischen Ländern. Es gibt Differenzen in den verschiedenen Bundesländern, aber insgesamt sind wir da nicht so schlecht. 
Dafür gibt es andere Zahlen, die im europäischen Vergleich deutlich höher sind. Dazu zählen der Anteil an Frühgeborenen sowie der Anteil an Kindern mit einem Geburtsgewicht unter 2.500g bzw. sogenannte "small for gestational age"-Kinder.
Dazu zählt auch die viel zu hohe Kaiserschnittrate von über 30%, die zudem schon von Landkreis zu Landkreis deutlich schwankt. Eine Dammschnittrate von fast 25% mit großen Schwankungen zwischen den einzelnen Kliniken weist auf fehlende Leitlinien und Konzepte oder fehlender Umsetzung einer "hands off"- Geburtshilfe hin. 

Warum sind diese "Marker" so wichtig? 

Aus Sicht der Frauen und Babys sind diese Marker wichtige Faktoren, da sie häufig über die Zukunft einzelner Menschen und Familien entscheiden!

Angefangen mit der Frühgeburtlichkeit und SGA-Kindern: Ein Frühchen braucht intensive Pflege und Betreuung, bedeutet häufig für die Familie den "Komplettausfall" eines Elternteils für die Zeit, die das Kind noch in der Klinik bleiben muss und stellt Eltern vor große Herausforderungen. Frühchen haben es auch später im Leben nicht unbedingt leichter und haben ungleich höhere Erkrankungsraten, auch für chronische Erkrankungen.
Es ist also schon als sehr gravierend anzusehen, dass Krankenkassen lange Liegezeiten bei drohender Frühgeburt aufgrund der Fallpauschalen nicht adäquat vergüten, wohingegen die sehr hohen Kosten eines Aufenthaltes auf der Frühchenstation übernommen werden. 

Die Senkung der Frühgeburtlichkeit muss ein primäres Ziel sein. 
Leider sieht es so aus, dass das primäre Ziel der Ausbau der großen Perinatalzentren ist, mit dem Argument, kleinere Häuser könnten Frühchen mangels Erfahrung schlechter versorgen.
Hier ist eine Entwicklung komplett fehlgeleitet. Denn: je mehr Anreize für eine Frühgeburt geschaffen werden, desto höher wird die Rate an Frühgeborenen sein. Anreize können sein: eine deutlich höhere Vergütung für Frühchen bei einem Geburtsgewicht unter 1.500g; Stationen mit verhältnismäßig vielen neonatologischen Plätzen, die auch gegenfinanziert werden müssen.

Einen Ansatz zur Verringerung der Frühgeburtlichkeit gibt es kaum.

Die hohe Kaiserschnittrate hat ebenfalls gesundheitliche Konsequenzen für die Mutter, das Kind und häufig auch für Folgeschwangerschaften. 
Seit einiger Zeit verdichten sich die Hinweise in Studien, dass Kaiserschnitt-Kinder ein größeres Risiko für diverse nichtinfektiöse Erkrankungen im weiteren Leben haben, dazu gehören u.a. Asthma, Diabetes und chronische Darmerkrankungen. Das bedeutet, dass eine hohe KS-Rate direkt zu höheren Folgekosten im Gesundheitssystem führt. 
Das bedeutet aber auch, und das betrifft einzelne Menschen und Familien, dass mehr Familien mit der Belastung eines chronisch kranken Kindes zu tun haben! 
Trotz sicherer OP- und Narkosetechniken ist die Mortalitätsrate für Mütter mit Kaiserschnitt etwa zehnmal so hoch wie bei vaginaler Entbindung. 
Darüber hinaus hat eine Sectio weitere Risiken, z.B. erhöhte Blutungsgefahr. 
Die Mütter sind nach Sectio meist nicht so schnell wieder fit und können sich in den ersten Tagen weniger intensiv um das Neugeborene kümmern. Dies kann z.B. zu Stillschwierigkeiten führen. 
Bei einer Folgeschwangerschaft ist die Gefahr einer Fehlentwicklung der Plazenta erhöht: es kann zu Verwachsungen mit der Gebärmutterschleimhaut kommen. Dies kann in der Schwangerschaft und unter Geburt zu schweren Komplikationen führen. Abgesehen davon steigt die Gefahr eines Gebärmutterrisses sowie die einer starken Nachblutung. 

Was hat die Dammschnittrate mit "guter Geburtshilfe" zu tun? Die meisten Ärzte verneinen hier einen kausalen Zusammenhang. Ich denke, eine hohe Dammschnittrate ist Ausdruck einer ärztlich oder von einer Hebamme "geleiteten" Geburt. In der außerklinischen Geburtshilfe, wo Frauen die ihnen angenehmste Geburtsposition einnehmen können, gebären vergleichsweise wenige Frauen im Halbsitzen oder Liegen. 
Das hat zwei Konsequenzen: 
1. Die Schwerkraft wird häufiger mitgenutzt, der physiologische Geburtsweg wird "erweitert" (denn im Sitzen kann z.B. das Steißbein nicht nach hinten ausweichen!), das Kind schafft es "leichter" durch den Geburtskanal.
2. Die Mutter begibt sich in eine Gebärposition, in der es kaum möglich ist, einen Dammschnitt vorzunehmen.

Im Umkehrschluss kann man sagen, dass Frauen im Krankenhaus in aller Regel nicht frei wählen können, in welcher Position sie gebären, und sie werden auch nicht dazu angeleitet. Die Anleitung folgt immer noch eher zugunsten einer für Arzt und Hebamme "übersichtlichen" Position - in der die Schwerkraft schlechter wirken kann, in der die Versorgung mit Sauerstoff für das Kind verschlechtert ist, die also ganz schnell eine Situation hervorruft, die einen Dammschnitt (vermeindlich) "nötig" macht. 
Dies ist jedoch keine frauenzentrierte Geburtshilfe. Das ist eine an den Bedürfnissen des medizinischen Personals ausgerichtete Geburtshilfe, mit der Konsequenz von vielen unnötigen Dammschnitten. 
Abgesehen davon zeigen Studien, dass der Dammschnitt nur in wenigen Fällen wirklich nötig ist, dass er außerdem die Wahrscheinlichkeit für einen höhergradigen Riss (III°/IV°) erhöht statt erniedrigt und dass ein Dammriss meist besser heilt. 
Darüber hinaus hat sich noch kein Mensch mit den psychosozialen Folgen eines Dammschnittes befasst. 

 Was könnte nun einen Einfluss auf all diese Faktoren haben? Welche verhältnismäßig einfache Veränderung könnte Frühgeburtlichkeit, Kaiserschnittraten, SGA-Babys und Dammschnitte reduzieren? Gibt es hier ein Patentrezept?

Ja. Das gibt es.
Die kontinuierliche Betreuung durch eine oder mehrere Bezugshebamme(n) während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sowie Stillzeit.
Deswegen freue ich mich, dass der Hebammenberuf akademisiert wird, und hoffe, dass es zunehmend eine kontinuierliche Begleitung der Frauen gibt, wie es bspw. in Schweden der Fall ist.

Für mich ist es ein erklärtes Ziel: Gesunde Frauen mit unkomplizierter Schwangerschaft sollten von Beginn der Schwangerschaft über die Geburt bis Ende des 1. Lebensjahres von einer oder mehreren Bezugshebammen betreut werden.


Donnerstag, 24. März 2016

Kommentar zu meinem Post

Viele haben meinen "Brief an einen Oberarzt..." gelesen, was mich sehr freut.
Zur Ehrenrettung der Krankenhäuser möchte ich darauf hinweisen, dass nicht überall
"Backofen-Medizin" betrieben wird. Es gibt u.a. mehrere große Perinatalzentren, die sehr frauenzentriert arbeiten und z.B. deutlich niedrigere Kaiserschnitt-Raten aufweisen als der Durchschnitt. Es gibt ebenso kleine Häuser, die eine sehr persönliche Atmosphäre haben und tolle Geburtshilfe leisten.
Allen geburtshilflichen Abteilungen ist jedoch gemeinsam, dass sie unter einem unglaublichen finanziellen Druck stehen. Das macht es durchaus schwieriger, auch unpopuläre Entscheidungen zugunsten der Frauen - und häufig zuungunsten der Vergütung - zu treffen.

Da gibt es den Klinikdirektor der Frauenklinik an der Uni Erlangen, der schon seit längerem darauf hinweist, dass das Abrechnungssystem geradezu Frühgeburtlichkeit befördert, statt den Frauen die Möglichkeit zu geben, durch längere Aufenthalte die Geburt hinauszuzögern.

Da gibt es den CA der Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Coesfeld/Münster, der die Kaiserschnittrate um fast die Hälfte auf nun ca. 19% gesenkt hat, und das in einem sog. Level-I-Haus, dh. in einem Haus mit jeder Menge Risikoschwangeren und Frühgeburten.

Gerade in Ostdeutschland gibt es etliche Krankenhäuser mit niedriger Interventionsrate - leider wurde letztes Jahr eines davon geschlossen (Geburtshilfe Wolgast)

Vorreiter in der familienorientierten Geburtshilfe war sicherlich das Vincent-Pallotti-Krankenhaus Bensberg, das seit den 80er Jahren diesen Ansatz verfolgt und eine der ersten  Geburtsstationen (wenn nicht sogar DIE erste) war, die Wassergeburten anboten und außerdem eine kliniktaugliche Gebärwanne entwickelte.

Da ist der derzeitige Vorsitzende der DGGG, Herr Prof. Louwen, der sich seit langem mit Geburten in Beckenendlage beschäftigt und hier auch ein Eisbrecher ist unter seinen Kollegen.

Ich habe hier nur einige wenige genannt, und hinter jedem Chefarzt steht immer ein ganzes Team aus Hebammen und Ärzten, die sich unter vollem Einsatz um die Frauen und Babys kümmern.

Und natürlich gibt es auch eine ganze Menge Frauen, die ihre Schwangerschaft bewusst erleben und auf eine natürliche, selbstbestimmte Geburt hoffen. Gerade um dieser Frauen willen ist der Post entstanden. Denn ich habe  leider viel zu viele Geburtsberichte nach dem gleichen Schema gehört: Frau kann sich nicht bewegen, liegt am Dauer-CTG, Kind stellt sich nicht ein, PDA.Geburtsstillstand. Wehentropf. Herztöne werden schlechter. Herztöne werden noch schlechter. Kaiserschnitt.

Weil von der Politik der Krankenhausschließungen eine gute Geburtshilfe erschwert wird, deswegen schreibe ich dies alles. Sicher gibt es noch andere Faktoren, auch in den Chefärzten begründete Faktoren. Dennoch ist es so, dass auch die hervorragend arbeitenden Geburtsabteilungen unter dem Kostendruck leiden. Und dies geht letztendlich zu Lasten der Frauen und Babys.





Montag, 21. März 2016

Ein Brief an einen Oberarzt. Oder die Gesundheitsminister. Oder an Frauen und Männer.


In den letzten 20 Jahren sind eine ganze Menge neue Erkenntnisse in der Geburtshilfe hinzugekommen - und es wurden einige alte, verschüttete Erkenntnisse wiederbelebt.

Was mich als junge Ärztin sehr wundert, ist jedoch, dass einfachste (!) Erkenntnisse nicht umgesetzt werden. In Deutschland gebären nach wie vor ca. 80% der Frauen in liegender/halb sitzender Position (aktueller AQUA-Bericht), obwohl längst bekannt ist, dass dies eine die Geburt behindernde Position ist. 

Ein anderes Beispiel: Studie um Studie zeigt, dass das Dauer-CTG keinen positiven Effekt auf die Vitalität (APGAR-Score), die Anzahl der Säuglinge mit Cerebralparesen (köperliche Behinderung mit Muskelkrämpfen) oder auf die Säuglingssterblichkeit während und kurz nach der Geburt hat - der einzige Effekt ist eine Steigerung der Kaiserschnittrate.
Die aktuelle Leitlinie (für Ärzte) zum Umgang mit dem CTG sieht dann folgendermaßen aus: Da wird zugegeben, dass alle bisherigen Studien o.g. belegen. Dann wird eine neue Studie mit einem neuen CTG-Gerät (von einem ganz bestimmten Hersteller übrigens) zitiert, die dann als Begründung für die gesamte Leitlinie herhalten muss. Aber so kann man doch nicht ernsthaft arbeiten, oder?
Das hat mit einem wissenschaftlichen Herangehen für meine Begriffe sehr wenig zu tun.

Natürlich müssen die Herztöne eines Kindes in regelmäßigen Abständen überprüft werden, verstehen Sie mich da nicht falsch.
 Es gibt Arbeiten, die zeigen, dass sich eine 1:1-Betreuung durch eine Hebamme unter der Geburt insgesamt sehr positiv auswirkt: niedriger Schmerzmittelverbrauch, fitte Kinder, weniger Kaiserschnitte, weniger Aufenthalte auf der NeugeborenenIntensivstation. Diese Studien werden jedoch nicht beachtet und auch nicht umgesetzt. Es wäre so einfach, diese ganzen CTG-Leitlinien einfach zu ersetzen und damit auch ein Statement für die Geburtshilfe und für die Frauen abzugeben: Wenn die DGGG (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe) beschließen würde, dass die beste Gewährleistung für eine gesunde Geburt eine 1:1-Betreuung darstellt, dass dies die 1A-Lösung ist und ein CTG im besten Falle eine 1B-Lösung ist, wäre u.a. die Politik gezwungen, hinzusehen. Wenn Richter plötzlich nicht mehr nach dem CTG, sondern nach der Anwesenheit einer Hebamme fragen, dann wäre dies ein großer Paradigmenwechsel in der Geburtshilfe, der meiner Meinung nach notwendig ist.

Die derzeitige Situation der Krankenhäuser, die politisch gewollt ist, stellt sich wie folgt dar:
Die Politik wünscht ein Krankenhaussterben, es soll immer weniger, größere Kliniken geben, denn Deutschland ist (angeblich) überversorgt. Allein in diesem Jahr,  2019, sind bis heute, 15.06.2019, 14 (!) Geburtsstationen geschlossen worden oder von Schließung bedroht.

Dabei vergleicht man sich (gerade was die Geburtshilfe anbelangt) gerne mit den skandinavischen Ländern, oder z.B. den Niederlanden. Gleichzeitig wird vergessen, dass das Gesundheitssystem in diesen Ländern ein komplett anderes ist: Die Gesundheitssysteme sind allesamt staatliche Gesundheitssysteme. D.h., auch die großen Kliniken müssen keinen Gewinn erwirtschaften.
Dazu kommt, dass es viel mehr sog. „Polikliniken“ gibt und dass die Bevölkerungsdichte und -verteilung eine völlig andere ist (v.a. in Schweden, Norwegen und Finnland).

Es ist gewollt, dass Krankenhäuser sich spezialisieren, „unrentable“ Abteilungen schließen und es in der Fläche weniger Krankenhäuser gibt. Wie kann man so etwas politisch geschickt erreichen? Sehr einfach: man hungert die Krankenhäuser aus. Seit Jahren beklagt die Krankenhausgesellschaft einen Investitionsstau, da die Bundesländer seit Jahren kein Geld in die Kliniken stecken (obwohl es ihre Aufgabe wäre). Die Kostenerstattung durch die Krankenkassen, die sog. Fallpauschalen, deckt nämlich nur die laufenden Kosten wie Personal, Material, Wasser und Strom etc. ab.
Ausstattung, Ausstattungserneuerung, Umbau, etc. muss anderweitig – oder eben nicht finanziert werden.
Es entsteht also ein Wettbewerb unter den Kliniken, wer mit dem wenigsten Geld das meiste bieten kann. De facto wird dies häufig zu Lasten des Personals ausgetragen, denn der größte Posten sind die Personalkosten.

In der Geburtshilfe ist das noch spezieller und noch krasser. Geburtshilfe ist ein sehr personalintensiver Zweig der Frauenheilkunde. Außerdem muss Geburtshilfe auch im Krankenhaus zu horrenden Beiträgen versichert werden, da sie eigentlich nicht versicherbar ist – schon gar nicht, wenn man auch 30 Jahre nach einer Geburt noch Schadensersatz oder Regress (durch die Krankenkassen) fordern kann. Das sind Risiken, die für die Versicherer nicht kalkulierbar sind. Nicht selten macht die Versicherungssumme für die Geburtshilfe etwa 2/3 der gesamten Versicherungssumme eines Krankenhauses aus. Und auch hieran sind häufig Bedingungen geknüpft, die sich kaum ein Mediziner je ausdenken würde, ein Versicherungsfachmann jedoch schon. Weil Versicherer das „sicher“ finden, haben viele Häuser einen zentralen „CTG-Überwachungsplatz“. Das hat noch weitere Vorteile: eine Hebamme kann dann sogar 5 Frauen (5 Backöfen?) gleichzeitig „überwachen“, und wenn irgendwo die Parameter „Gefahr“ anzeigen, kann sie sich da hinbegeben. In der Zwischenzeit kann sie Papierkram erledigen, einen nicht besetzten Kreißsaal aufräumen und säubern, eine neue Frau in Empfang nehmen und dann auch mal 6 Frauen alleine überwachen. Sie hat doch die Geräte! Das spart enorm an Personal.

Nur leider sind Frauen eben keine Backöfen.

Das hatten Frauen zwar vor rund 50 Jahren mal eine Zeitlang deutlich gesagt (1968). Aber heute wären sie ganz gerne wieder Backöfen. Soll alles automatisch gehen, eine Maschine soll ihnen sagen, wie es dem Kind geht (als ob sie nicht selbst spüren könnten, ob es noch tritt und sich bewegt), und überhaupt hat man häufig den Eindruck, sie fühlen sich lediglich als Hülle oder Backofen für dieses Wunderding namens „Baby“. Sie haben tierisch Angst davor, die Temperatur zu hoch einzustellen, die falschen Zutaten reinzutun, oder das Kind gar zu lange da drin zu backen. Nicht nur sie haben davor Angst, auch die Ärzte. Denn sie können verklagt werden, wenn eins der o.g. Dinge passiert. Außerdem kann man heute mittels Ultraschall wunderbar in den Backofen hineinsehen und kann dann erkennen, ob der Kuchen langsam bräunlich wird oder schon verbrannt ist, ob der Kuchen in der richtigen Geschwindigkeit aufgeht, ob die Hefe überentwickelt und der Kuchen riesig wird, oder ob er gar nicht aufgeht und nur ein flacher Fladen bleibt. Leider sind die Geräte recht unscharf. Aber egal, die Eltern haben den Eindruck, sie könnten wie im Fernsehen in ihren Backofen reinsehen. Im Zweifel reißt man die Backofentür mit Gewalt auf und zerrt das kleine Ding aus dem gefährlichen Gerät da raus.

Sobald eine Mutter sich als solche wahrnimmt und Verantwortung für ihr Tun und Lassen übernimmt, wird es gefährlich. Denn dann ist sie kein berechenbarer, ein- und ausschaltbarer, beherrschbarer Backofen mehr. Sie ist dann plötzlich ein Mensch, der ein kleines Wesen unter ihrem Herzen trägt und dieses kleine Menschlein mehr liebt als alles andere auf der Welt. Sie hat Emotionen, sie fühlt. Sie tritt in Kontakt zu dem Menschlein, spürt, wie es ihm geht und hält Zwiegespräch. Es käme ihr nie in den Sinn, das Menschlein gewaltsam aus seiner sicheren Höhle zu holen, denn sie weiß, dass es sich auf den Weg machen wird, zur rechten Zeit. Sie sehnt sich danach, mit diesem Kind den Weg des Geborenwerdens zu gehen, der doch ein ganz anderer ist als der eines Brotes aus dem Backofen. Ein Weg, an dem Mutter und Kind (und häufig auch der Vater) beteiligt sind, den sie aktiv gestalten, den sie antreten, und auf dem sie nicht zurückblicken.

Leider passen gerade solche Mütter momentan nicht ins System. Derzeit ist Geburtshilfe nur etwas für Backöfen, die sich gerne öffnen lassen, jeden an sich herumstellen lassen, Temperatur messen, Überwachungsmaschinerie, voyeuristisches Eltern-Fernsehen, Finger im Kanal.
Vor allem muss es einigermaßen berechenbar bleiben. Es geht nicht, dass die eine Frau in 4h ihr Kind zur Welt bringt, die andere sich 48h und länger Zeit lässt. Das geht leider nicht, denn mehr als 24h werden nicht bezahlt. Fallpauschale zu Ende. Die Geburt wird dann eben gewaltsam beendet. Spitzfindig: so ein ungeplanter Kaiserschnitt bringt mehr ein, als eine schöne physiologische, 48h lange Geburt. (Und sogar mehr als ein geplanter Kaiserschnitt.)

Krankenhäuser werden kaputtgespart. Die Geburtshilfe ist ein sehr kostenintensiver Fachbereich aufgrund der hohen Personalkosten und der hohen Versicherungssummen. Ich behaupte, es gibt kaum eine geburtshilfliche Abteilung in Deutschland, die schwarze Zahlen schreibt, geschweige denn, Gewinn erwirtschaftet. Die Geburtshilfe in Deutschland steht mit dem Rücken zur Wand, und jeder ist mit jedem verfeindet.
In aller Regel „überleben“ die großen Perinatalzentren, die über eine gewisse Anzahl an Frühchen die roten Zahlen der Geburtshilfe kompensieren können. Es ist Gott sei Dank nur ein kleiner Anteil an Frauen und Babys, die diese Perinatalzentren wirklich benötigen. Die allermeisten Frauen haben eine unkomplizierte Schwangerschaft, ein gesundes Kind im Bauch und somit m.M.n. ein Recht auf eine natürliche, interventionsarme, ungestörte, risikoarme Geburt. Leider wird dies im Prinzip nur noch den wenigen Frauen gewährt, die nicht in der Klinik gebären, sondern zu Hause oder im Geburtshaus. Praktischerweise ist die Ärzteschaft fleißig dabei, diese Geburtsorte als höchst unsicher und todbringend zu verteufeln (obwohl, von hier aus, 150km westlich, ca. 30% der Kinder zu Hause geboren werden, ohne dass es ständig Totgeburten gibt.). Denn diese Geburtsorte wiedersprechen dem Duktus von der Frau als Backofen für das Kind. Geburtsmedizin ist aber derzeit nur unter den Backofen-Bedingungen rentabel bzw. halbwegs zu finanzieren.

Dummerweise sehen Hebammen in ihrem Beruf etwas anderes als die Bedienung eines Backofens. Sie wollen die Frauen menschlich begleiten, ihnen Zuwendung schenken, und sie fachlich kompetent in allen Situationen vor, während und nach der Geburt unterstützen. Das hat zur Folge, dass Hebammen zunehmend unzufrieden sind mit ihren Arbeitsbedingungen. Sie wollten eben nie am Fließband stehen und auch nicht ständig irgendwelche Knöpfe bedienen oder Schläuche und Kabel anschließen. Hebammen wissen, dass Frauen ganz ohne fremde Hilfe gebären können, selbst wenn die Frauen das nicht immer wissen und häufig gar nicht mehr glauben. Aus Frust oder mit Burn-Out ziehen sich immer mehr Hebammen aus dem Klinikalltag zurück, arbeiten Teilzeit, um die Situation in den Häusern einigermaßen zu ertragen, und arbeiten nebenbei als freie Hebammen in der Nachsorge oder geben Kurse. Oder machen was ganz anderes.
Schon 2016 mussten Geburtsstationen aufgrund von Personalmangel (!) geschlossen werden. In diesem Jahr, 2019, Stand Mitte Juni, werden voraussichtlich 14 (!!) weitere Geburtsstationen ihre Türen schließen.
Dies führt dazu, dass die Geburtshilfe zunehmend kollabiert. Sie wird weitere Einbrüche und Zusammenbrüche hinnehmen müssen, bis irgendwann die politisch gewünschte Anzahl an Kliniken erreicht ist.  Dann wird wieder etwas mehr Geld fließen, vielleicht. Vielleicht hat man sich dann aber so an die niedrigen Ausgaben gewöhnt, dass man alles so belässt (was wahrscheinlicher ist).
Dann wird es große (wenige) Perinatalzentren geben (die fast niemand braucht – die aber teuer sind und irgendwie finanziert werden müssen, z.B. durch Frühgeburten, denn Langlieger bringen leider auch kein Geld...) mit Geburtenzahlen von 2000/Jahr und aufwärts. Diese Zentren werden unter chronischer Unterbesetzung leiden, da die meisten Hebammen die Arbeitsbedingungen jetzt schon erbarmungswürdig finden, und abwandern werden. Das sehen wir schon heute.
Die Frauen werden wie Backöfen durch die Geburten geschleust werden. Und es wird Probleme geben. Noch mehr Frauen werden traumatisiert die Gebärfabriken verlassen. Noch mehr Frauen werden einen Kaiserschnitt erleiden, der eigentlich nicht nötig gewesen wäre, wenn die Frau eine 1:1-Betreuung erfahren hätte. Frauen werden noch mehr Überwachung durch Geräte über sich ergehen lassen müssen, da es einfach nicht genug Personal geben wird.

Und dann wird der Bundesgesundheitsminister beschließen, dass der Beruf der Hebamme doch ganz gut noch in das große Gesamtpaket „Pflegeberufe“ passt. Denn dies „werte den Beruf der Hebamme auf“ und schaffe neue Möglichkeiten. Man müsse sich nicht festlegen. Wenn das nichts ist mit der Geburtshife, könnte man dann immer noch auf der geriatrischen Station arbeiten. Sehr praktisch.
(In dieser Hinsicht habe ich mich tatsächlich getäuscht, als ich diesen Text schrieb: Hebammen sollen bald nur noch an Fachhochschulen in dualen Studiengängen ausgebildet werden. Immerhin etwas!)

Und dann werden wir ungefähr da sein, wo Amerika sich seit einigen Jahrzehten befindet. Dort gibt es die „midwife nurse“, die genau das ist: eine „weitergebildete“ Krankenschwester. Und es gibt die Ärzte, die die Kunst der Backofen-Geburt perfektioniert haben. Leider mit tragischem Outcome:
Die Säuglingssterblichkeit ist doppelt so hoch wie hierzulande. Die Müttersterblichkeit ist unbestritten die höchste in allen westlichen Ländern, nämlich etwa dreimal so hoch wie hier. Beides ist in den letzten 20 Jahren kontinuierlich angestiegen.
(Könnte sein, dass es bei uns nun doch nicht ganz so schlimm kommt.)

Beim Anteil an Frühchen sind wir schon fast so "gut" wie die Amerikaner:
USA: 12,0% (auf der Länderliste zwischen Timor-Leste, 12,1%, und Thailand, 12,0%)
D: 9,2% (auf der Länderliste zwischen Nicaraguay 9,3% und Brasilien 9,2%)

Ich plädiere sehr für einen Kurswechsel. Die Politik muss erkennen, dass mindestens in der Geburtshilfe, wahrscheinlich aber auch in anderen Bereichen der Medizin, ein rein wirtschaftliches Vorgehen, verbunden mit einem liberalisierten Gesundheits-Markt, zwar gut für die Zahlen ist.
Aber schlecht für die Menschen.

Hoffentlich schaffen wir das, denn das sind wir den Müttern und Kindern schuldig.