Samstag, 10. November 2018

Nabelschnur


Vor einiger Zeit bin ich auf spannende Informationen rund um das Thema Nabelschnur gestoßen.

Bei der Geburt meiner zweiten Tochter im Geburtshaus haben wir die Nabelschnur "auspulsieren" lassen, das heißt, wir haben sie erst durchtrennt, nachdem kein Blutfluss mehr zu spüren war.  Eine Nabelschnur fühlt sich gefüllt an wie ein pulsierender Gartenschlauch. Ich weiß noch, wie überrascht ich war, wie dick und fest sie sich anfühlte. Wenn man die Nabelschnur nicht durchtrennt, wird sie nach kurzer Zeit immer schlaffer. Ein bisschen wie ein Fahrradreifen, dem die Luft ausgeht.
(Bei unserem Jüngsten, bei dem wir auch eine Weile mit dem Abnabeln gewartet haben, 
war ich dann überrascht, wie dünn sie auch sein kann... :-)

Für mich war das stimmig, ich hatte auch keine besondere Angst vor der viel gefürchteten Neugeborenen-Gelbsucht (Hyperbilirubinämie). Oft hilft schon Sonnenlicht, und außerdem haben
viele Neugeborene eine leichte Gelbsucht.
Aber mit wissenschaftlichen Belegen hatte das nun recht wenig zu tun, oder?

In den letzten Jahren haben sich aber die wissenschaftlichen Erkenntisse verdichtet. Ein späteres Abnabeln ist in erster Linie von großem Vorteil für die Babys.

Eigentlich ist es ja logisch: Wenn die Nabelschnur länger "durchgängig" ist, kann auch mehr Blut zum Neugeborenen fließen. Normalerweise befindet sich ca. 1/3 des kindlichen Blutes im Mutterkuchen und 2/3 im Neugeborenen. Mutterkuchen und Kind stellen ja sozusagen eine Einheit dar. Der Mutterkuchen (fachdeutsch die Plazenta) dient zum Gasaustausch zwischen kindlichem Blutkreislauf und mütterlichem Blutkreislauf. Die Mutter liefert quasi frischen Sauerstoff an, das Kind lädt Kohlenstoffdioxid ab (es findet ja noch kein Gasaustausch in der Lunge statt).
Wir stellen uns vor: Das Kind ist geboren, die Lungen "entfalten" sich, wenn das Kind den ersten Atemzug tut (das ist ein Reflex: sobald das Kind die Luft spürt, atmet es ein).
Um den "kleinen" LungenBlutkreislauf ebenfalls zu füllen, benötigt das Kind zusätzliches Blutvolumen. Es geht hier sicher nicht um große Mengen, aber das Kind hatte zuvor einen Blutkreislauf mit "Abkürzung" quasi "an der Lunge vorbei".
Die Entfaltung der Lungen braucht etwas Zeit, was bei einer sofortigen Abnabelung bedeutet, dass das Kind weniger sauerstoffhaltiges Blut im Körper hat. Lässt man die Verbindung zur Plazenta bestehen, hat das Kind also auch eine etwas weniger stressige Anpassungszeit und kann seinen Blutkreislauf mit Sauerstoff und Blut aus dem Mutterkuchen füllen.
In Studien konnte gezeigt werden: wenn man "erst" nach 2 Minuten abnabelt,
erhöht sich das Blutvolumen des Babys um bis zu einem Drittel.
Außerdem ist bei später Abnabelung auch 6 Monate nach der Geburt noch ein höherer Eisenspiegel im Blut nachweisbar als bei sorfortiger Abnabelung. Da Muttermilch wenig Eisen enthält, macht das ja sogar Sinn!


Wenn die Nabelschnur auspulsieren kann, können auch die Stammzellen im Nabelschnurblut in den Organismus übergehen (das sind Körperzellen, die noch keine Festlegung erfahren haben: aus ihnen können noch alle Arten von Zellen werden, also Gehirnzellen, Muskelzellen, Hautzellen, Nervenzellen, etc.). Manche Eltern lassen diese Stammzellen sozusagen "abfangen" und einfrieren, um sie bei eventuellen Erkrankungen (und zukünftigen Therapiemöglichkeiten) auftauen zu können.
Aus der neuesten Forschung vermutet man jedoch, dass diese Stammzellen u.a. dazu dienen, Defekte, die während der Geburt oder zuvor entstanden sind, auszugleichen, also z.B. Gehirnzellen nachzubilden. So gesehen, macht es viel mehr Sinn, diese Zellen dem Kind zu belassen, indem man die Nabelschnur auspulsieren lässt.

Auch wenn ein Kind Anpassungsschwierigkeiten hat, ist das Belassen der Verbindung von Vorteil: Der Sauerstofftransfer von der Mutter auf das Kind kann dann noch aufrecht erhalten werden, gerade wenn das Kind selbst nicht oder wenig atmet. Es gerät dann nicht direkt in die Sauerstoff-Armut.
Es gibt inzwischen "Beistell-Tische" für den Kreißsaal, so dass das Baby direkt nach der Geburt neben der Mutter reanimiert werden kann, ohne es abzunabeln. Es gibt zu diesem Thema einen hervorragenden Fachartikel , von Dr. Rachel Reed, einer Hebamme aus Australien:
https://midwifethinking.com/2016/04/13/the-placenta-essential-resuscitation-equipment/
Frau Reeds Homepage"midwifethinking" ist absolut lesenswert für alle Studien-Nerds wie mich. :-)

Eine auspulsierte Nabelschnur hat noch einen anderen Vorteil, den Prof. Dr. Hildebrandt im Film "Die sichere Geburt" erklärt: es bedeutet auch, dass die Plazenta blutleer(er) ist und sich besser von der Gebärmutterwand löst.

Also: Bei einem gesunden Einling mit unkomplizierter oder relativ unkomplizierter Geburt ist es
für alle Beteiligten besser, die Nabelschnur auspulsieren zu lassen. Auch aus wissenschaftlicher Sicht.