Samstag, 6. Mai 2017

Hebammen in der Geburtshilfe - Hebammen in Deutschland

(diesen Text habe ich 2016 geschrieben. Ist immer noch aktuell.)

Seit meiner ersten Schwangerschaft vor nunmehr 9 Jahren interessiere ich mich sehr für Geburtshilfe. Im Laufe der Zeit habe ich viel Literatur gelesen und eigene Erfahrungen gesammelt:
3 "eigene" Geburten, davon eine im Krankenhaus, eine im Geburtshaus und eine zu Hause; meherere Klinikgeburten in Praktika/PJ im Krankenhaus miterlebt; davon: ein echter Notkaiserschnitt bei vorzeitiger Plazentaablösung; eine komplett interventionsfreie Geburt eines über 4kg-Baby und keine Verletzungen...; der Rest Einleitungen, KS bei Frauen, die den Geburtsschmerz nicht durchstehen konnten und wollten, unnötige Episiotomie, angstvolle Geburtssituationen ohne Not, Oxygabe zur Plazentalösung (aktives Management nennt man das); schnelle Abnabelungen, schmerzhaftes Nähen nach der Geburt; ....

Ich habe verschiedene Hebammen kennengelernt, wobei ich nur meine eigene Hebamme, die mich in allen drei Schwangerschaften und bei den beiden außerklinischen Geburten begleitet hat, wirklich "kenne". Dazu habe ich mit Frauenärzten zusammengearbeitet und gesprochen. Außerdem seitenweise Literatur gewälzt, mit Vorliebe Studien, Metaanalysen etc. Recherchiert, wie es in anderen Ländern aussieht.

In den letzten zwei bis drei Jahren hat sich die Situation für Hebammen in Deutschland und damit auch in der Geburtshilfe zugespitzt. Die Versicherungsprämien für Hebammen haben sich seit 2011 quasi von ca. 3000 EUR auf heute ca. 5000EUR fast verdoppelt. Aber auch Belegärzte und Krankenhäuser ächzen unter der Last der Versicherungsprämien: Wenn ich Frauenärztin wäre und heute eine Versicherung für außerklinische und stationäre (Beleg-)Geburten abschließen wollte, kostete mich das 106.000 Euros. (nein, kein Tippfehler.) In Krankenhäuser sieht es teils so aus, dass die Geburtshilfe 60% der gesamten Haftpflichtprämie fürs ganze Haus ausmacht.

Warum ist das so? Zunächst einmal: die Zahl der Schadensfälle hat zumindest für Hebammen abgenommen in den letzten Jahren.(Siehe dazu die Stellungnahme Sept. 2014 des DHV) Dafür sind die von den Gerichten zugesprochenen Schadenssummen drastisch gestiegen. Ein weiteres Problem für die Hebammen ist, dass sie mit ihrem Privatvermögen haften, sollte die Deckungssumme der Versicherung überschritten werden. Detailliert dargelegt ist die Problematik in einer Stellungnahme des DHV (Sept. 2014), das hier zu finden ist (pdf-Datei.).

Ich zitiere aus oben genannter Stellungnahme:
"Ursache für die Unmöglichkeit der Versicherung von Geburtsschäden sind also weder eine Zunahme der Schadensfälle - dies schon deshalb nicht, weil die Schadenszahlen zumindest für die Hebammen derzeit rückläufig sind - noch eine falsche Prämienverteilung, sondern einzig die Verteuerung schwerer Personenschäden im Heilwesen in Verbindung mit der derzeitigen Haftpflichtstruktur. Diesem strukturellen Dilemma kann nur mit einer strukturellen Änderung des derzeitigen Haftpflichtsystems wirksam entgegengetreten werden."
("Stellungnahme des Deutschen Hebammenverbandes e.V. zur Haftpflichtsituation im Bereich der freiberuflichen Hebammentätigkeit" September 2014, Seite 6)

Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wieso diese Last einer so kleinen Fraktion aufgepackt wird, die noch dazu derart schlecht verdient. Ich bin immer wieder fassungslos über Leserkommentare frei nach dem Motto: Hebammen sollen gefälligst für ihre Fehler geradestehen und auch diesen enormen gesellschaftlichen Beitrag leisten! Ja, Hebammen machen Fehler. Und dafür müssen sie in irgendeiner Form einstehen. Allerdings ist es schlicht unmöglich, die geforderten Summen abzusichern. Das ist ja der Grund, weshalb die Versicherungen eigentlich gar keine Versicherung mehr anbieten wollen: weil dieses Risiko kaum kalkulierbar ist. Wer weiß, welche Summen die Gerichte in ein paar Jahren zusprechen? Wer weiß, wie hoch die Kosten dann sind, auch aufgrund längerer Lebenszeiten und guter Versorgung?

Letztlich ist es ein gesellschaftliches Problem: Gerade in der Geburtshilfe gibt es keine endgültigen Sicherheiten. Damit müssen wir leben. Und wir müssen als Gesellschaft dafür sorgen, dass Kinder, die geschädigt wurden, ein menschenwürdiges Leben führen können. Es ist in meinen Augen inakzeptabel, dieses Problem einfach bei den Hebammen abzuladen, denn sie können diese Last nicht stemmen. Es wäre jetzt ziemlich blödsinnig zu sagen, na, dann sollen sie es halt lassen. Denn irgendwer muss den Frauen ja beim Gebären helfen, und wer, wenn nicht die Hebammen?

Viele meinen, es ginge hier nur um Hausgeburten oder Geburtshäuser (von denen immer mehr schließen müssen wegen dem Kostendruck der Versicherer). Aber es geht um SO VIEL MEHR.

Von der Problematik sind auch Beleghebammen betroffen, die deutschlandweit etwa 20% aller Geburten begleiten. In Bayern sind es sogar 60% aller Geburten. Insbesondere in ländlichen Gegenden und kleinen Krankenhäusern, ist dies eine Möglichkeit, die wohnortnahe Geburtshilfe aufrechtzuerhalten. Dazu kommen dann die Belegärzte - die in der gleichen Versicherungsproblematik stecken wie die Hebammen.

Immer mehr kleine Geburtskliniken werden geschlossen, nicht zuletzt wegen der gestiegenen Versicherungskosten. Aber auch, weil sich vieles verändert hat in der Krankenhauswelt: Krankenhäuser müssen sich "rechnen". Auch Geburtsabteilungen müssen sich "rechnen". Das funktioniert aber nur ab einer gewissen Größe, denn insbesondere die Personalkosten bleiben gleichbleibend hoch. Man kann eine Krankenhausabteilung nämlich nicht einfach mit nur drei Ärzten oder Hebammen aufrecht erhalten. Geht nicht. Wie sollen die 24h und Wochenenden und Feiertage abdecken? Also werden diese kleinen Abteilungen geschlossen oder in Belegabteilungen umgewandelt. Dazu braucht man aber Belegärzte und Beleghebammen. Davon hören immer mehr auf, weil es schier nicht leistbar ist angesichts der Versicherungssummen. Also verschwindet die Geburtshilfe vor Ort dann eben.So oder ähnlich vielfach geschehen in den letzten Jahren - aufsehenerregend bspw. auf Sylt. Oder auf Föhr.

Es gibt einige ärztliche Kollegen - so erst vor ein paar Monaten im DÄ gelesen - , die sind der Meinung, ein paar große Geburtskliniken sind viel besser als viele kleine Kliniken. Ja, für die großen Kliniken ist das besser. Denn dann verdienen sie mehr. Man kann mit weniger Personal noch mehr Geburten durchführen. Wenn in drei kleinen Abteilungen immer etwa 1-2 Hebammen anwesend sind und so etwa 400-500 Geburten im Jahr begleitet werden, dann glaubt mir: nach Zusammenlegung zu einer großen Geburtsklinik mit ca. 1200-1500 Geburten im Jahr sind dann nicht plötzlich 6 Hebammen pro Schicht da. Nein, da sind dann mit viel Glück drei oder vier Hebammen, die gleichzeitig 6 bis 10 Geburten betreuen müssen. Das Zahlenverhältnis Hebamme pro Gebärende wird noch schlechter.
Das ist übrigens ein Phänomen, das (ehemalige) Klinikhebammen beklagen: Man hat gar nicht die Zeit, eine Frau in ihrer Geburt zu begleiten. Man muss gleichzeitig mehrere Frauen betreuen. Und dann geht es nur noch um Schadensbegrenzung. Ein einfühlendes, aufmerksames Beobachten ist gar nicht möglich. Wie sollen dann negative Entwicklungen unter der Geburt frühzeitig bemerkt werden und dann u.U. mit ganz einfachen Interventionen schlimmeres verhindert werden (Positionswechsel; Ermutigung; Essen...) ? Wie oft ist das Kind dann schon in den Brunnen gefallen, und der einzige Ausweg ist der schnelle Kaiserschnitt...

Nein, ich kann diese Entwicklung weg von der wohnortnahen Geburtshilfe hin zu wenigen großen Geburtsabteilungen definitiv nicht gutheißen.
Es gibt übrigens ein Land, das seit Jahren überwiegend mit großen Geburtszentren und wenigen bis keinen ausgebildeten Hebammen arbeitet: die USA. Und dort gibt es seit vielen Jahren ein großes Problem, was die Geburtshilfe angeht, denn das "Outcome" ist gruselig. Die Müttersterblichkeit ist durchschnittlich fast 5-mal so hoch wie in Deutschland und steigt seit 1987 an!
Zahlen: D:4/100.000, z.B. hier; USA: 2011: 17,8/100.000 Lebendgeborener
und für die afroamerikanischen Mütter liegt sie in Größenordnungen, die für westliche Standards inakzeptabel und unfassbar sind: 2011: 42,8/100.000 Lebendgeborenen!!

Sicher gibt es noch einige andere Faktoren, die diese Zahlen in den USA generieren. Eines ist aber sicher: die Abschaffung der Hebammen und der große Wissensverlust, der damit einhergeht, hat maßgeblich dazu beigetragen. So sehr viele schlüssige andere Erklärungen gibt es da nicht, außer der, dass die Fähigkeit zur vernünftigen Geburtshilfe einfach verloren gegangen ist zwischen wirtschaftlichen Interessen der Krankenhäuser und fast ausschließlich ärztlicher, pathologisierender Betreuung der Schwangeren und Gebärenden. Wir reden hier von einem hochtechnisierten Land mit medizinischer Spitzenausstattung.

Wollen wir das? Wollen wir, dass Hebammenwissen um den guten Verlauf einer Geburt verloren geht? Wissen, wie man auch kompliziertere Geburtsverläufe zu einem guten Ende bringt? Wollen wir die Geburt unserer Kinder komplett in den medizintechnischen Apparat stecken? Glauben wir, dass die Technik "besser" ist für unsere Mütter und Babys? Diesen Glauben in das Alles-Machbare hat es immer wieder gegeben, und immer wieder sind die Menschen damit auf die Nase gefallen. Wollen wir dieses Experiment wagen, an unseren Schwangeren und unseren Neugeborenen?
Denn das ist es, was auf dem Spiel steht, wenn es immer weniger Hebammen gibt, die in immer größeren Kliniken immer mehr Frauen gleichzeitig betreuen sollen.

Hebammen sind darüber hinaus nicht nur während der Geburt da. Sie leisten Vorsorge und Nachsorge der Schwangeren, die bei zunehmender Überlastung der ärztlichen Kollegen auch nottut. Wer spricht mit den Frauen über ganz grundlegende Dinge, wie z.B.: Was brauche ich eigentlich alles, und was nicht? Wie funktioniert das mit dem Stillen oder auch mit den Fläschchen? Was kann ich tun, wenn mein Baby schreit? Wer hilft den Frauen, die nach zwei oder drei Tagen aus der Klinik entlassen werden? Gerade in den ersten Tagen (und Wochen) ist es schon aus medizinischer Sicht unerlässlich, dass eine Hebamme nachsieht, ob es dem Neugeborenen gut geht, es an Gewicht zunimmt, das Stillen klappt, Fragen noch geklärt werden können, die Frauen/Familien unterstützt, sich an die neue Situation anzupassen. Es gibt genügend Frauen, die wenig Hilfe aus der Familie haben, nicht zum Bildungsbürgertum gehören, noch Teenies sind etc. etc. Es ist nicht abzuschätzen, was hier an gesundheitlicher Versorgung wegbricht, wenn  noch mehr Hebammen aufhören. Und es sind sehr wohl auch Hebammen, die "nur" Vor- und Nachsorge anbieten, die das Handtuch schmeißen, einfach, weil der Verdienst nicht mehr kalkulierbar ist und derzeit auch gar nicht klar ist, wie es nach 2016 weitergeht.

Was wir brauchen, ist hier eine große Reform. Kein Klein-Klein mit Nachbesserungen hier und da. Jetzt mal die Regresse und die Versicherungsbeiträge deckeln, das wird schon reichen.

NEIN, das reicht eben nicht, denn hier ist bereits ein Prozess im Gange, den wir dringend umkehren müssen, wenn uns etwas an unseren Müttern und Kindern liegt!

Wir brauchen einen Haftungsfonds, der von der Gesellschaft oder wenigstens von allen beteiligten medizinischen Professionen getragen wird. Mit dieser Forderung bin ich nicht alleine: der Deutsche Hebammenverband und der Elternverein "Mother Hood e.V.
www.hebammenunterstuetzung.de" sieht das genauso. Und wir brauchen eine Umstrukturierung der Geburtshilfe, weg von der Zentralisierung, weg von der Maxime der Wirtschaftlichkeit.  
Geburten lohnen sich immer, zumal für eine schrumpfende Gesellschaft! Das muss sich in der Bezahlung der Hebammen wiederspiegeln. Krankenhäuser, die Geburtsabteilungen wohnortnah erhalten, sollten auch finanziell darin bestärkt werden.

(In dem Zusammenhang plädiere ich übrigens für eine Angleichung der Fallpauschalen von Kaiserschnitten und spontanen, interventionsarmen Geburten, da zweitere in aller Regel der bessere Weg für Mutter und Kind sind. Aber das sind Nebenschauplätze.)

Hebammen sollten in ihrer Stellung im Gesundheitssystem gestärkt werden, d.h. bei unkomplizierten Schwangerschaften die Vor- und Nachsorge überwiegend übernehmen (das tun in D überwiegend Frauenärzte) und nur bei pathologischen Vorgängen Ärzte hinzuziehen. Das wäre im Moment wahrscheinlich nicht möglich, da es nicht genügend Hebammen gibt. - Ich merke, mein Ansatz ist noch unausgegoren. Ich möchte neue Denkansätze anstoßen. Zu Ende denken müssen das Hebammen, Ärzte, Eltern, KVen und Krankenkassen und nicht zuletzt die Politik.

Schwangerschaft und Geburt gehört in Hebammenhand, sie sind die Spezialisten dafür.  Hebammenbetreuung in der Schwangerschaft kann die Zahl der Frühgeborenen reduzieren. 1:1-Betreuung durch eine Hebamme ist ein wichtiger Faktor für die Reduzierung der Säuglings- und Müttersterblichkeit. Europäische Länder mit noch niedrigeren Zahlen der Müttersterblichkeit, z.B. Schweden, haben ein hebammenzentriertes System mit 1:1-Betreuung unter Geburt.

Es muss was Neues her! 
"Ebenso füllt niemand jungen, gärenden Wein in alte, brüchige Schläuche. Sonst platzen sie, der Wein läuft aus, und die Schläuche sind unbrauchbar. Nein, jungen Wein füllt man in neue Schläuche! Nur so bleibt beides erhalten."
Matthäus-Evangelium, 9. Kapitel, Vers 17.