(diesen Text habe ich 2016 geschrieben. Ist immer noch aktuell.)
Seit meiner ersten Schwangerschaft vor nunmehr 9 Jahren interessiere
ich mich sehr für Geburtshilfe. Im Laufe der Zeit habe ich viel
Literatur gelesen und eigene Erfahrungen gesammelt:
3 "eigene"
Geburten, davon eine im Krankenhaus, eine im Geburtshaus und eine zu
Hause; meherere Klinikgeburten in Praktika/PJ im Krankenhaus miterlebt;
davon: ein echter Notkaiserschnitt bei vorzeitiger Plazentaablösung;
eine komplett interventionsfreie Geburt eines über 4kg-Baby und keine
Verletzungen...; der Rest Einleitungen, KS bei Frauen, die den
Geburtsschmerz nicht durchstehen konnten und wollten, unnötige
Episiotomie, angstvolle Geburtssituationen ohne Not, Oxygabe zur
Plazentalösung (aktives Management nennt man das); schnelle
Abnabelungen, schmerzhaftes Nähen nach der Geburt; ....
Ich
habe verschiedene Hebammen kennengelernt, wobei ich nur meine eigene
Hebamme, die mich in allen drei Schwangerschaften und bei den beiden
außerklinischen Geburten begleitet hat, wirklich "kenne". Dazu habe ich
mit Frauenärzten zusammengearbeitet und gesprochen. Außerdem seitenweise
Literatur gewälzt, mit Vorliebe Studien, Metaanalysen etc.
Recherchiert, wie es in anderen Ländern aussieht.
In
den letzten zwei bis drei Jahren hat sich die Situation für Hebammen in
Deutschland und damit auch in der Geburtshilfe zugespitzt. Die
Versicherungsprämien für Hebammen haben sich seit 2011 quasi von ca.
3000 EUR auf heute ca. 5000EUR fast verdoppelt. Aber auch Belegärzte und
Krankenhäuser ächzen unter der Last der Versicherungsprämien: Wenn ich
Frauenärztin wäre und heute eine Versicherung für außerklinische und
stationäre (Beleg-)Geburten abschließen wollte, kostete mich das 106.000
Euros. (nein, kein Tippfehler.) In Krankenhäuser sieht es teils so aus,
dass die Geburtshilfe 60% der gesamten Haftpflichtprämie fürs ganze
Haus ausmacht.
Warum ist das so? Zunächst einmal: die Zahl der Schadensfälle hat zumindest für Hebammen abgenommen in den letzten Jahren.(Siehe dazu die Stellungnahme Sept. 2014 des DHV) Dafür sind die von den Gerichten zugesprochenen Schadenssummen drastisch gestiegen.
Ein weiteres Problem für die Hebammen ist, dass sie mit ihrem
Privatvermögen haften, sollte die Deckungssumme der Versicherung
überschritten werden. Detailliert dargelegt ist die Problematik in einer
Stellungnahme des DHV (Sept. 2014), das hier zu finden ist (pdf-Datei.).
Ich zitiere aus oben genannter Stellungnahme:
"Ursache
für die Unmöglichkeit der Versicherung von Geburtsschäden sind also
weder eine Zunahme der Schadensfälle - dies schon deshalb nicht, weil
die Schadenszahlen zumindest für die Hebammen derzeit rückläufig sind -
noch eine falsche Prämienverteilung, sondern einzig die Verteuerung schwerer Personenschäden im Heilwesen in Verbindung mit der derzeitigen Haftpflichtstruktur. Diesem
strukturellen Dilemma kann nur mit einer strukturellen Änderung des
derzeitigen Haftpflichtsystems wirksam entgegengetreten werden."
("Stellungnahme des Deutschen Hebammenverbandes e.V. zur Haftpflichtsituation im Bereich der freiberuflichen Hebammentätigkeit" September 2014, Seite 6)
Es
ist für mich nicht nachvollziehbar, wieso diese Last einer so kleinen
Fraktion aufgepackt wird, die noch dazu derart schlecht verdient. Ich
bin immer wieder fassungslos über Leserkommentare frei nach dem Motto:
Hebammen sollen gefälligst für ihre Fehler geradestehen und auch diesen
enormen gesellschaftlichen Beitrag leisten! Ja, Hebammen machen Fehler.
Und dafür müssen sie in irgendeiner Form einstehen. Allerdings ist es
schlicht unmöglich, die geforderten Summen abzusichern. Das ist ja der
Grund, weshalb die Versicherungen eigentlich gar keine Versicherung mehr
anbieten wollen: weil dieses Risiko kaum kalkulierbar ist. Wer weiß,
welche Summen die Gerichte in ein paar Jahren zusprechen? Wer weiß, wie
hoch die Kosten dann sind, auch aufgrund längerer Lebenszeiten und guter
Versorgung?
Letztlich ist es ein gesellschaftliches Problem:
Gerade in der Geburtshilfe gibt es keine endgültigen Sicherheiten.
Damit müssen wir leben. Und wir müssen als Gesellschaft dafür sorgen,
dass Kinder, die geschädigt wurden, ein menschenwürdiges Leben führen
können. Es ist in meinen Augen inakzeptabel, dieses Problem einfach bei
den Hebammen abzuladen, denn sie können diese Last nicht stemmen. Es
wäre jetzt ziemlich blödsinnig zu sagen, na, dann sollen sie es halt
lassen. Denn irgendwer muss den Frauen ja beim Gebären helfen, und wer,
wenn nicht die Hebammen?
Viele meinen, es ginge hier
nur um Hausgeburten oder Geburtshäuser (von denen immer mehr schließen
müssen wegen dem Kostendruck der Versicherer). Aber es geht um SO VIEL
MEHR.
Von der Problematik sind auch Beleghebammen
betroffen, die deutschlandweit etwa 20% aller Geburten begleiten. In
Bayern sind es sogar 60% aller Geburten. Insbesondere in ländlichen
Gegenden und kleinen Krankenhäusern, ist dies eine Möglichkeit, die
wohnortnahe Geburtshilfe aufrechtzuerhalten. Dazu kommen dann die
Belegärzte - die in der gleichen Versicherungsproblematik stecken wie
die Hebammen.
Immer mehr kleine Geburtskliniken werden
geschlossen, nicht zuletzt wegen der gestiegenen Versicherungskosten.
Aber auch, weil sich vieles verändert hat in der Krankenhauswelt:
Krankenhäuser müssen sich "rechnen". Auch Geburtsabteilungen müssen sich
"rechnen". Das funktioniert aber nur ab einer gewissen Größe, denn
insbesondere die Personalkosten bleiben gleichbleibend hoch. Man kann
eine Krankenhausabteilung nämlich nicht einfach mit nur drei Ärzten oder
Hebammen aufrecht erhalten. Geht nicht. Wie sollen die 24h und
Wochenenden und Feiertage abdecken? Also werden diese kleinen
Abteilungen geschlossen oder in Belegabteilungen umgewandelt. Dazu
braucht man aber Belegärzte und Beleghebammen. Davon hören immer mehr
auf, weil es schier nicht leistbar ist angesichts der
Versicherungssummen. Also verschwindet die Geburtshilfe vor Ort dann
eben.So oder ähnlich vielfach geschehen in den letzten Jahren -
aufsehenerregend bspw. auf Sylt. Oder auf Föhr.
Es
gibt einige ärztliche Kollegen - so erst vor ein paar Monaten im DÄ
gelesen - , die sind der Meinung, ein paar große Geburtskliniken sind
viel besser als viele kleine Kliniken. Ja, für die großen Kliniken ist
das besser. Denn dann verdienen sie mehr. Man kann mit weniger Personal
noch mehr Geburten durchführen. Wenn in drei kleinen Abteilungen immer
etwa 1-2 Hebammen anwesend sind und so etwa 400-500 Geburten im Jahr
begleitet werden, dann glaubt mir: nach Zusammenlegung zu einer großen
Geburtsklinik mit ca. 1200-1500 Geburten im Jahr sind dann nicht
plötzlich 6 Hebammen pro Schicht da. Nein, da sind dann mit viel Glück
drei oder vier Hebammen, die gleichzeitig 6 bis 10 Geburten betreuen
müssen. Das Zahlenverhältnis Hebamme pro Gebärende wird noch schlechter.
Das
ist übrigens ein Phänomen, das (ehemalige) Klinikhebammen beklagen: Man
hat gar nicht die Zeit, eine Frau in ihrer Geburt zu begleiten. Man
muss gleichzeitig mehrere Frauen betreuen. Und dann geht es nur noch um
Schadensbegrenzung. Ein einfühlendes, aufmerksames Beobachten ist gar
nicht möglich. Wie sollen dann negative Entwicklungen unter der Geburt
frühzeitig bemerkt werden und dann u.U. mit ganz einfachen
Interventionen schlimmeres verhindert werden (Positionswechsel;
Ermutigung; Essen...) ? Wie oft ist das Kind dann schon in den Brunnen
gefallen, und der einzige Ausweg ist der schnelle Kaiserschnitt...
Nein,
ich kann diese Entwicklung weg von der wohnortnahen Geburtshilfe hin zu
wenigen großen Geburtsabteilungen definitiv nicht gutheißen.
Es
gibt übrigens ein Land, das seit Jahren überwiegend mit großen
Geburtszentren und wenigen bis keinen ausgebildeten Hebammen arbeitet:
die USA. Und dort gibt es seit vielen Jahren ein großes Problem, was die
Geburtshilfe angeht, denn das "Outcome" ist gruselig. Die
Müttersterblichkeit ist durchschnittlich fast 5-mal so hoch wie in
Deutschland und steigt seit 1987 an!
Zahlen: D:4/100.000, z.B. hier; USA: 2011: 17,8/100.000 Lebendgeborener
und
für die afroamerikanischen Mütter liegt sie in Größenordnungen, die für
westliche Standards inakzeptabel und unfassbar sind: 2011: 42,8/100.000 Lebendgeborenen!!
Sicher
gibt es noch einige andere Faktoren, die diese Zahlen in den USA
generieren. Eines ist aber sicher: die Abschaffung der Hebammen und der
große Wissensverlust, der damit einhergeht, hat maßgeblich dazu
beigetragen. So sehr viele schlüssige andere Erklärungen gibt es da
nicht, außer der, dass die Fähigkeit zur vernünftigen Geburtshilfe
einfach verloren gegangen ist zwischen wirtschaftlichen Interessen der
Krankenhäuser und fast ausschließlich ärztlicher, pathologisierender
Betreuung der Schwangeren und Gebärenden. Wir reden hier von einem
hochtechnisierten Land mit medizinischer Spitzenausstattung.
Wollen
wir das? Wollen wir, dass Hebammenwissen um den guten Verlauf einer
Geburt verloren geht? Wissen, wie man auch kompliziertere
Geburtsverläufe zu einem guten Ende bringt? Wollen wir die Geburt
unserer Kinder komplett in den medizintechnischen Apparat
stecken? Glauben wir, dass die Technik "besser" ist für unsere Mütter
und Babys? Diesen Glauben in das Alles-Machbare hat es immer wieder
gegeben, und immer wieder sind die Menschen damit auf die Nase gefallen.
Wollen wir dieses Experiment wagen, an unseren Schwangeren und unseren
Neugeborenen?
Denn das ist es, was auf dem Spiel steht, wenn es
immer weniger Hebammen gibt, die in immer größeren Kliniken immer mehr
Frauen gleichzeitig betreuen sollen.
Hebammen sind
darüber hinaus nicht nur während der Geburt da. Sie leisten Vorsorge und
Nachsorge der Schwangeren, die bei zunehmender Überlastung der
ärztlichen Kollegen auch nottut. Wer spricht mit den Frauen über ganz
grundlegende Dinge, wie z.B.: Was brauche ich eigentlich alles, und was
nicht? Wie funktioniert das mit dem Stillen oder auch mit den
Fläschchen? Was kann ich tun, wenn mein Baby schreit? Wer hilft den
Frauen, die nach zwei oder drei Tagen aus der Klinik entlassen werden?
Gerade in den ersten Tagen (und Wochen) ist es schon aus medizinischer
Sicht unerlässlich, dass eine Hebamme nachsieht, ob es dem Neugeborenen
gut geht, es an Gewicht zunimmt, das Stillen klappt, Fragen noch geklärt
werden können, die Frauen/Familien unterstützt, sich an
die neue Situation anzupassen. Es gibt genügend Frauen, die wenig Hilfe
aus der Familie haben, nicht zum Bildungsbürgertum gehören, noch Teenies
sind etc. etc. Es ist nicht abzuschätzen, was hier an gesundheitlicher
Versorgung wegbricht, wenn noch mehr Hebammen aufhören. Und es sind
sehr wohl auch Hebammen, die "nur" Vor- und Nachsorge anbieten, die das
Handtuch schmeißen, einfach, weil der Verdienst nicht mehr kalkulierbar
ist und derzeit auch gar nicht klar ist, wie es nach 2016 weitergeht.
Was
wir brauchen, ist hier eine große Reform. Kein Klein-Klein mit
Nachbesserungen hier und da. Jetzt mal die Regresse und die
Versicherungsbeiträge deckeln, das wird schon reichen.
NEIN,
das reicht eben nicht, denn hier ist bereits ein Prozess im Gange, den
wir dringend umkehren müssen, wenn uns etwas an unseren Müttern und
Kindern liegt!
Wir brauchen einen Haftungsfonds, der
von der Gesellschaft oder wenigstens von allen beteiligten medizinischen
Professionen getragen wird. Mit dieser Forderung bin ich nicht alleine:
der Deutsche Hebammenverband und der Elternverein "Mother Hood e.V.
www.hebammenunterstuetzung.de" sieht das genauso. Und wir brauchen eine Umstrukturierung der Geburtshilfe, weg von der Zentralisierung, weg von der Maxime der Wirtschaftlichkeit.
Geburten lohnen sich immer, zumal für eine schrumpfende Gesellschaft! Das
muss sich in der Bezahlung der Hebammen wiederspiegeln. Krankenhäuser,
die Geburtsabteilungen wohnortnah erhalten, sollten auch finanziell
darin bestärkt werden.
(In
dem Zusammenhang plädiere ich übrigens für eine Angleichung der
Fallpauschalen von Kaiserschnitten und spontanen, interventionsarmen
Geburten, da zweitere in aller Regel der bessere Weg für Mutter und Kind
sind. Aber das sind Nebenschauplätze.)
Hebammen
sollten in ihrer Stellung im Gesundheitssystem gestärkt werden, d.h.
bei unkomplizierten Schwangerschaften die Vor- und Nachsorge überwiegend
übernehmen (das tun in D überwiegend Frauenärzte) und nur bei
pathologischen Vorgängen Ärzte hinzuziehen. Das wäre im Moment
wahrscheinlich nicht möglich, da es nicht genügend Hebammen
gibt. - Ich merke, mein Ansatz ist noch unausgegoren. Ich möchte neue
Denkansätze anstoßen. Zu Ende denken müssen das Hebammen, Ärzte, Eltern,
KVen und Krankenkassen und nicht zuletzt die Politik.
Schwangerschaft
und Geburt gehört in Hebammenhand, sie sind die Spezialisten dafür.
Hebammenbetreuung in der Schwangerschaft kann die Zahl der Frühgeborenen
reduzieren. 1:1-Betreuung durch eine Hebamme ist ein wichtiger Faktor
für die Reduzierung der Säuglings- und Müttersterblichkeit. Europäische
Länder mit noch niedrigeren Zahlen der Müttersterblichkeit, z.B.
Schweden, haben ein hebammenzentriertes System mit 1:1-Betreuung unter
Geburt.
Es muss was Neues her!
"Ebenso füllt niemand jungen, gärenden Wein in alte, brüchige Schläuche. Sonst platzen sie, der Wein läuft aus, und die Schläuche sind unbrauchbar. Nein, jungen Wein füllt man in neue Schläuche! Nur so bleibt beides erhalten."
Matthäus-Evangelium, 9. Kapitel, Vers 17.
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